Ausgabe 2012/2

Dancehall im Diskurs: Gegen Homophobie & Kulturalismus

Als der jamaikanische Dancehall-Künstler Sizzla im März 2012 in Wien auftrat, ging eine (kleine) Protestwelle durch die heimischen Medien: Einmal mehr dabei wurde der Boykott homophober Dancehall-Artists gefordert. MALMOE und migrazinecolor>.at haben dies zum Anlass genommen, die bereits seit den 1990er-Jahren geführte und stark polarisierte Debatte genauer unter die Lupe zu nehmen und ein differenzierteres Bild zu zeichnen. Dafür haben wir sowohl Positionen aus der Dancehall-Szene in Österreich und Deutschland eingeholt als auch LGBTIQ-Aktivist_innen aus Jamaika zur Sache befragt. Dieser Schwerpunkt (koordiniert von Rosa Danner und Sophie Schasiepen) ist auch in der aktuellen Print-Ausgabe von MALMOE zu lesen.
Übrigens: Das Bild zum Schwerpunkt ist das Logo von "Yes Yes Y'All", laut Selbstbeschreibung "Toronto's biggest, dirtiest, sweatiest, queer hip hop/dancehall jam".

Fokus ^

Make Some Noise Against Homophobia!

von Patrick Helber / Make Some Noise

"Battyboy"-Tunes und der Widerstand dagegen

Seit 2003 gibt es in Nordamerika und Europa immer wieder Anti-Homophobie-Kampagnen gegen Auftritte von Reggae- und Dancehall-Entertainer_innen aus Jamaika. Oft werden Konzerte aufgrund des öffentlichen Drucks von Organisationen für die Rechte von LGBTIQ abgesagt. Hauptakteurin auf internationaler Ebene war diesbezüglich lange Zeit die britische LGBTIQ-Organisation OutRage! und deren Sprecher Peter Tatchell.

"J-Flag unterstützt diese 'Anti-Murder Music'-Kampagnen nicht"

Interview mit Dane Lewis

Die Auftritte homophober jamaikanischer Dancehall-Artists in Europa zu boykottieren, halt die LGBT-Organisation J-FLAG für wenig zielführend.

migrazine.at: J-FLAG wurde 1998 gegründet, um für "die faire und gerechte Behandlung von Schwulen und Lesben im Gesetz und durch die Bevölkerung" zu arbeiten. Es war die erste Organisation in Jamaika, die sich für "Lesben, All-Sexuals und Schwule" [1] eingesetzt hat. Kannst du uns eine kurze Einführung in eure Arbeitsweisen der letzten Jahre geben?

"No support for these anti-murder music campaigns" (english)

Interview with Dane Lewis

Why Jamaican LGBT rights organization J-FLAG maintains that the boycott of homophobic Jamaican artists is not an option.

migrazine.at: The Jamaica Forum for Lesbians, All-Sexuals & Gays (J-FLAG) was founded in 1998 to work for "the fair and equal treatment of gays and lesbians under the law and by the ordinary citizen". It was the first organisation in Jamaica to stand up for "Lesbians, All-Sexuals and Gays". [1] Can you give us a short introduction to the way you have been working over the years?

Der Battyman wehrt sich

von Marco Schreuder

Mordaufrufe auf heimischen Bühnen zu verhindern, gestaltet sich schwieriger als angenommen

Der Song "Boom Bye Bye" von Buju Banton von 1992 gilt als erster sogenannter "Battyman Tune" der Dancehall-Szene Jamaikas. "Battyman Tunes" sind Songs, in denen gegen schwule Männer gehetzt, ja sogar zum Mord aufgerufen wird.

Good For A Girl?

von Sandra Krampelhuber

Ein Einblick in die komplexen Codes der Dancehall und in weibliche Strategien, bestehende Gender-Normen in Jamaika aufzubrechen.

"Every time somebody comes to me with a compliment and says: You are good for a girl, I think that's not a compliment. I think it's an insult. Does it mean that every single man out there is better than I am? That can't be, I've heard them. And what does it mean?

"Come on Baby, Light My Fire ..."

von Rosa Danner

"... everything you drop is so tired / Music is supposed to inspire / How come we ain't getting no higher?" – Lauren Hills Proklamation wird hier beim Wort genommen: Ansichten auf emanzipatorisch inspirierte Musik von Reggae/Dancehall-Artists.

1987 machte Macka Diamond aka Lady Mackerel zum ersten Mal mit "Don Girl" (im Sinne eines "well respected girl") auf sich aufmerksam – eine Antwort auf Major Mackerels "Don Man". Damit hat sie sich als eine der frechen und um Gleichberechtigung bemühten Dancehall-Queens hervorgetan.

Music Mixtape

von MSOKE (aka NAMUSOKE)

Der schweizerisch-tansanische Sänger MSOKE über die Entstehung und Bedeutung seiner Musik.

MSOKEs wurde in Tansania geboren, später wuchs er in Zürich in einem musikaffinen Umfeld auf. Sein musikalischer Werdegang begann vor über 22 Jahren, führte auf viele große Bühnen Europas und mündet in deepem, urbanem Soul mit hörbaren Wurzeln in der Afro-, Soul- und Reggae-Musik.

Inna di Dancehall

von MALMOE

Zum Weiterlesen: Links und Literatur zum Schwerpunkt-Thema.

Literatur

  • Carolyn Cooper: Noises in the Blood: Orality, Gender, and the "Vulgar" Body of Jamaican Popular Culture. Duke University Press, Durham 1993.
  • Dies.: Sound Clash: Jamaican Dancehall Culture at Large. Palgrave Macmillan, Hampshire 2004.

Crossover ^

Migrantinnen im Cyberspace: Welche Mobilität zu welchem Preis?

von Waltraud Ernst

Im Diskurs über die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien gelten Migrantinnen entweder als besonders bedürftige, diskriminierte Wesen oder als Heldinnen des Cyberspace.

Irina Aristarkhova zufolge gibt es für Frauen genügend Gründe, das ihr (von der patriarchalen Ideologie) zugewiesene Heim, in dem sie zwar Gastfreundschaft repräsentieren, aber allzu oft nicht selbst Gastgeberinnen sind, zu verlassen und in der Bewegung ein (mobiles) Zuhause in sich selbst zu finden. Der Cyberspace ist demnach – nicht nur auf der symbolischen Ebene – prädestiniert als ein Ort, an dem Weiblichkeit nicht bloß mit Hospitalität verknüpft ist, sondern an dem Frauen in ihren vielfältigen Realitäten vorkommen und als unabhängige ethische Subjekte handeln.

Between Motherhood and Agency (english)

von Silvina Monteros Obelar und Valentina Longo

The differential use of ICTs by migrant women in Spain – a project report

Many studies dealing with migrant women in Spain are focused mainly on their role and impact as workforce in the labor market. Their legal situation and/or integration are aspects often taken into consideration as central issues related to their migrant condition, nevertheless other issues more linked to citizenship are far less treated.

Erklärung zur Unterstützung der protestierenden Flüchtlinge

von Refugee Protest Camp Vienna

Flüchtlinge sind am 24. November von Traiskirchen nach Wien marschiert, um auf ihre politische Anliegen aufmerksam zu machen. Seitdem haben sie ein Protestlager im Sigmund-Freud-Park errichtet. Im Zentrum der Bundeshauptstadt ergreifen sie das Wort, um endlich für sich selbst zu sprechen.

Mit ihrer Initiative machen sie darauf aufmerksam, dass im Asylverfahren sowie im System der Grundversorgung große Mängel herrschen. Obwohl sie einen prekären legalen Status haben und von Abschiebung bedroht sind, kämpfen sie für ihre grundlegenden Menschenrechte. Sie protestieren gegen undurchschaubare Asylverfahren, verschärfte Gesetze und erheben folgende Forderungen für menschenwürdige Lebensbedingungen:

"Zielgruppe mit Computer"

von Hanna Hacker

Zur fotodokumentarischen Darstellung des Digital Divide in der Entwicklungszusammenarbeit

Das "Bild" der Dritten Welt: Dies typisierte lange Zeit, vor allem in der Bildproduktion des Fotojournalismus, hungernde, in Körpersprache und Mimik Verzweiflung ausdrückende Menschen, die am Boden hocken oder liegen und bittend ihre Arme zur Kamera des Journalisten aus dem Norden erheben, der ebendiesen Ausdruck technologischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der jeweiligen "Opfer" von "Natur"-Ereignissen ("Dürrekatastrophen") zum "berührenden Bild" macht.

Declaration of Support and Solidarity with the Refugees in Protest (english)

von Refugee Protest Camp Vienna

On 24th November, a large group of refugees marched for eight hours from Traiskirchen to Vienna to make their political demands heard. They've set up a protest camp at Sigmund Freud Park on the same Saturday, so as to raise their voices at the heart of the Austrian capital and finally speak for themselves.

Their initiative draws our attention to the fact that there are rampant deficiencies to the legal proceedings as well as basic provisions for people seeking Asylum in Austria. Despite their precarious status and the looming threat of deportation, the protesting refugees are fighting for their human rights – they're standing up against intransparent legal proceedings and restrictive laws. So they put forth the following demands for dignified living conditions:

"Wozu braucht eine Altenpflegerin physikalisches Wissen?"

Interview mit Barbara Zach

Seit September 2012 ist ein Gesetz in Kraft, das den externen Hauptschulabschluss neu regelt. Ob sich damit die bisherige Situation verbessert, ist allerdings fraglich.

migrazine.at: Am 5. Juli 2012 wurde im Parlament ein neues Gesetz beschlossen, das den externen Hauptschulabschluss einfacher und attraktiver machen soll. [1] Sie sind als Lehrerin bei maiz, dem Autonomen Zentrum von & für Migrantinnen, tätig und stehen dem Gesetz sehr kritisch gegenüber – warum?

Von Gesundheitschecks zu Moslemtests

von Paul Scheibelhofer

Zur österreichischen Migrationspolitik und der Konstruktion "fremder" Männlichkeit.

Wenn heute über Migration gesprochen wird, so sind Verweise auf problematische Geschlechterverhältnisse oft schnell bei der Hand. Besonders, wenn es um türkisch-muslimische MigrantInnen geht, gehören Debatten über patriarchale Verhältnisse, Kopftuchzwänge oder Zwangsheirat und Ehrenmord zur Tagesordnung. Während dabei oft über Frauen gesprochen wird, liegen diesen Diskursen bestimmte Bilder über Männlichkeit zugrunde.

"On n'est pas n'importe quelle région de France" (français)

Interview avec Ghislaine Bessière

L'association Rasine Kaf intervient pour une autre politique de la mémoire dans l'ancienne colonie française La Réunion.

L'île de La Réunion fut occupée pour la première fois en 1663 par des colons français et des esclaves Malgaches au départ et Africains par la suite. [2] Ils y cultivaient du café et de la canne à sucre. Après l'abolition de l'esclavage, le 20 décembre 1848, les employés qu'on appelle les engagés et qui sont pour la plupart des Indiens, remplacèrent les esclaves dans les plantations.

"We are not just any old French region" (english)

Interview with Ghislaine Bessière

On Reunion Island the organization Rasin Kaf [1] works towards an alternative commemorative culture in the former French colony.

Reunion Island was occupied for the first time in 1663 by French colonialists and Malgash slaves, followed by continental Africans. [2] There they cultivated coffee and sugar cane. After the abolition of slavery on the 20th of December 1848, intendured workers, known as the engagés who were for the most part Indian, replaced the slaves working in the plantations. In 1946 Reunion Island became a French overseas territory, officially signalling the start of decolonization. Today, it is an "ultraperipherical" region of the European Union.

Das Kapital der Liebe

von Doris Guth

Über Liebe und Rassismen in der Werbung.

Werbung arbeitet mit Bildern der Liebe und des Verliebtseins, um Produkte emotional aufzuladen und zu verkaufen. Dabei wird auf das dominante Liebesideal in unserem kulturellen Kontext Bezug genommen: Monogam, heterosexuell, im höchstem Maße subjektiv und Glück versprechend ist die romantische Liebe, die als kulturelle Praxis zu verstehen ist.

"Wir sind nicht einfach irgendeine beliebige Region in Frankreich"

Interview mit Ghislaine Bessière

Der Verein Rasine Kaf [1] auf La Réunion interveniert für eine andere Gedächtnispolitik der ehemaligen französischen Kolonie.

La Réunion, ursprünglich unbewohntes Territorium, wurde ab dem 17. Jahrhundert von französischen SiedlerInnen besiedelt, die u.a. SklavInnen aus Afrika dorthin verschleppten. [2] Die Insel diente als Produktionsstätte für Kaffee, später auch für Rohrzucker. Nachdem am 20. Dezember 1848 die Sklaverei abgeschafft worden war, ersetzten billige VertragsarbeiterInnen, sogenannte engagés, vor allem aus Indien die ehemaligen SklavInnen bei der Arbeit auf den Plantagen.

Die Straßen sind leer

Interview mit Jeanna Krömer (Yamaykina)

Wie feministisch sind die Vorzeige-Aktivistinnen Pussy Riot und Femen eigentlich wirklich? Und was tut sich in den postsowjetischen Ländern noch in Sachen Feminismus? Die Journalistin Jeanna Krömer gibt Auskunft über postsowjetische Frauenkämpfe.

Als eines der ersten Länder weltweit führte die Sowjetunion bereits 1917 das Frauenwahlrecht ein, wenig später folgte das Recht auf Abtreibung. 1936 hieß es, die Gleichstellung von Mann und Frau sei nun offiziell erreicht.