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"Bei uns sind UserInnen keine Ware"

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Interview mit Uschi Reiter

migrazine.at: Wie ernst ist die Situation bei servus.at – droht mit der Kürzung das Aus eurer Initiative?

Uschi Reiter: Es ist ernst. Durch die eklatante Kürzung von 15.000 Euro seitens des Kulturministeriums waren wir gezwungen, heuer harte Konsequenzen zu ziehen. Das internationale Festival "LiWoLi – Art Meets Radical Openness", das wir in Kooperation mit der Kunstuniversität Linz in den vergangenen fünf Jahren sehr erfolgreich durchgeführt haben, mussten wir vorerst absagen. Wir bestehen nämlich darauf, dass die teilnehmenden KünstlerInnen Reisekosten, Unterkunft, Verpflegung und ein überschaubares Honorar bekommen. Unter den aktuellen Voraussetzungen wäre nur eine Schmalspurvariante des Festivals durchführbar gewesen, die wir nicht wollten.

Generell sind unsere eigenen Aktivitäten in den letzten Jahren stark angestiegen. Die Begründung des Medienkunstbeirats für die Budgetkürzung – wir würden keine oder nur wenig Kunst machen – stört mich sehr. Im Moment sitzen da zwei Vertreter großer Institutionen drinnen sowie KünstlerInnen, die eher in der bildenden Kunst beheimatet sind. Ich bin eine Freundin von bildender Kunst, keine Frage, aber solange wir auch noch den Begriff "Medienkunst" verhandeln, will ich hier eine Definition diskutieren, die über Projektionen und Metaphern hinausgeht und sich unter der Oberfläche mit Datenströmen, Codes und Informationstechnologie beschäftigt.

Es ist zu beobachten, dass sich wieder vermehrt ein konservatives Verständnis von Medienkunst und -kultur einschleicht. Das Prozesshafte und unsere Form der Auseinandersetzung mit Technologie in Verbindung mit gesellschaftsrelevanten Themen werden immer noch nicht verstanden.

Statt in Strukturen zu investieren, will man nur Projekte fördern. Mit so einem kurzsichtigen Horizont kann servus.at nicht betrieben werden. Die betreffende Abteilung und der Beirat hatten jedenfalls Gründe und scheinen sich einig geworden zu sein, ein Zeichen setzen zu wollen.

Wie sieht die Fördersituation seitens der Stadt und des Landes aus?

Ein weiteres Argument für die Kürzung durch den Bund war, dass die Stadt Linz und das Land Oberösterreich uns als lokale Initiative zu wenig fördern, was natürlich stimmt. Mit dieser Botschaft durften wir dann wieder nach Linz fahren. So wird man zum Spielball: Die Stadt fördert nicht, wenn das Land nicht fördert, und umgekehrt, und der Bund fördert angeblich nicht mehr als die Stadt und das Land, was sich aber einfach als fadenscheinige Ausrede erwiesen hat. Es ist nirgends festgeschrieben, dass das so sein muss. Nach mittlerweile acht Jahren, die ich im Verein arbeite, gehen einem da schon einmal der Humor und die gute Laune verloren.

Im Moment können wir die Basis, also unser Datenzentrum für Kunst- und Kulturschaffende, gerade noch aufrechterhalten. Das verdanken wir dem Umstand, dass wir einen sehr hohen Eigenleistungsanteil haben und servus.at mit wahnsinnig viel persönlichem Engagement betreiben. Eigene Projekte und Aktivitäten müssen aber dieses Jahr stark eingeschränkt werden. Es kostet sehr viel Zeit, sich mit FördergeberInnen zu treffen und andere Projektanträge zu schreiben. Wir suchen nach Lösungen und Möglichkeiten, wie wir weiterarbeiten können. Hinzu kommt auch, dass es schwer ist, Leute mit entsprechender Kompetenz einzubinden, wenn man als Verein nur ausgesprochen schlecht bis gar nichts bezahlen kann.

Gibt es bereits Pläne für die Zukunft?

Die Situation hat das Nachdenken über die eigene Struktur und über das "Wie weitermachen?" natürlich beschleunigt. Da stecken wir jetzt mittendrin. Ich würde sagen, alles ist offen. Ich persönlich neige ja zu einer radikalen Veränderung, aber das entscheide ich natürlich nicht alleine.

Ihr stellt unter anderem IT-Infrastruktur für die Kunst- und Kulturszene in Linz zur Verfügung. Welche Rolle spielt euer Verein gerade für alternative Projekte?

Wir sind eine direkte Ansprechpartnerin für den digitalen Alltag von Kunst- und Kulturschaffenden, das heißt, wir sind der persönliche Kontakt bei der Realisierung von diversen Projekten. Das macht auch den Unterschied für unsere Mitglieder zu den vorhandenen Gratis- und Billig-Angeboten à la Google, Youtube und Co aus. Bei uns sind die UserInnen eben keine Ware, die im Hintergrund verscherbelt wird.

Eine tragende Rolle spielen wir auch bei der Verbreitung und beim Einsatz von freien Betriebssystemen und freier Open-Source-Software in vielen lokalen Kulturinitiativen. In Linz gibt es in der Kulturszene sehr viel Bewusstsein darüber. Es ist aber auch ein Kostenfaktor: Was passiert, wenn in den Kulturbudgets Abrechnungen für Consulting, Administrations- oder Programmierarbeiten zum marktkonformen Stundensatz auftauchen? Dazu vielleicht noch Lizenzgebühren?

Sind bei servus.at Geschlechterverhältnisse ein Thema? Welche Aktivitäten setzt der Verein diesbezüglich?

In meinem Fall hat sich das aus der "Natur" der Sache ergeben, würde ich sagen. Der Antrieb ist meistens, etwas wissen zu wollen, und daraus ergibt sich die Notwendigkeit, eigene Räume zu schaffen, in denen sich ausschließlich Frauen treffen, um sich über technische Dinge auszutauschen. Da will man keine männlichen Besserwisser haben, die einer die Tastatur oder den Lötkolben aus der Hand reißen oder eine verunsichern, auch wenn sie es gar nicht so meinen. Auch die Erkenntnis, dass technisches Know-how alleine eigentlich "nichts" ist, ist wesentlich! Mich persönlich hat immer das Spannungsfeld zwischen Technik und Kunst interessiert.

In meiner Rolle als Leiterin des Vereins und bei den Aktivitäten und Schwerpunkten, die wir behandeln, ist das Fehlen von Frauen oft Thema. Was die lokalen Begebenheiten betrifft, denke ich, dass ich in dem Punkt gescheitert bin, hier mehr zu bewegen. Es ist mir zum Beispiel nicht gelungen, ein Hacklab von und für Frauen in Linz zu schaffen. Dafür wurde in Wien mit "Mz Baltazar's Laboratory" ein solcher Raum etabliert, und es freut mich, dass dieser Verein auch bei uns Mitglied ist. International bin ich gut vernetzt, und in Österreich gibt es einige Frauen, unter denen es regen Austausch gibt. Meiner Erfahrung nach sind es meistens einzelne Frauen, die mit überdurchschnittlicher Energie Dinge anschieben!

Mit der vermehrten Teilnahme von Frauen bei unserem Festival bin ich schon einigermaßen zufrieden. Da hat sich definitiv etwas getan. Es entspricht sicher noch nicht einem Idealzustand von fünfzig Prozent, aber die Beteiligung von Frauen steigt.

Aktuell wird in Österreich das Urheberrecht unter KünstlerInnen heftig diskutiert. Auf eurer Website ist zu lesen: "Die Überzeugung, dass Information, Quellencode von Software, Experimente, Musik, Videos als Kulturgüter auch frei zugänglich sein sollen, ist seit der Vereinsgründung eine grundlegende Haltung." Stellt ihr euch also gegen Initiativen wie "Kunst hat Recht"?

Ich bemühe mich mittlerweile, für etwas und nicht gegen etwas zu sein. Es geht also um eine Position. Unser Verein vertritt grundsätzlich den oben genannten Anspruch, das gründet sich auf viele Jahre Erfahrungen und Diskussion in dieser Community. Aus dem Bereich freier Software sieht man ja auch, wie Freiheiten der Kreativität gefördert werden können und so Innovation im positiven Sinn vorangetrieben wird. Ein Unterschied zu vielen dogmatischen Forderungen ist aber, dass dies durch Vorteile und Wahlfreiheit erreicht werden soll, nicht durch Zwang.

Aus meiner Sicht lässt sich dieses Prinzip auch auf künstlerische und kulturelle Produktion übertragen. Bei unserem jährlichen Festival "Art Meets Radical Openness" sind es vor allem KünstlerInnen, die sich dem Prinzip des Teilens bewusst sind und unter solchen neuen Aspekten Werke schaffen, von denen andere wiederum profitieren können.

Bei servus.at-Mitgliedern gibt es die unterschiedlichsten Meinungen zu den aktuellen Fragestellungen rund um das Thema Urheberrecht, allerdings herrschen hier derzeit hauptsächlich Ideologie und Dogmen vor. Uns selbst sehen wir eher in einer pragmatischen Rolle. Im Fall von "Kunst hat Recht" muss man erkennen, dass sich ProduzentInnen, Vertriebe und Verwertungsgesellschaften anmaßen, für oder sogar als KünstlerInnen zu sprechen. Klar ist, dass hier mit bestehenden Regeln die Freiheit von KünstlerInnen eingeschränkt wird. Beim groben Durchsehen der UnterzeichnerInnen von "Kunst hat Recht" habe ich kein einziges servus.at-Mitglied entdeckt. Zufall? Vielleicht sind unsere Mitglieder bei so pauschalen Forderungen deutlich kritischer.
Eine Reihe österreichischer Netzkultur-Initiativen arbeitet gerade an einer gemeinsamen Position zu den Themen Urheberrecht, Datensicherheit, Open Data und Netzneutralität. Nachdem ich an der Organisation einer Zusammenkunft beteiligt war, bin ich zuversichtlich, dass hier bald eine andere Unterschriftenliste auftauchen wird. Da stecken hauptsächlich ehrenamtliche Arbeit und zivilgesellschaftliches Engagement drinnen, sich für die Freiheiten im Netz einzusetzen.


Interview: Brigitte Theißl


Uschi ReiterUs(c)hi Reiter, Künstlerin, Netzkultur-Aktivistin. Seit 2005 Leiterin der Netzkultur-Initiative servus.at. www.firstfloor.org/ur