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Von "Inhabitants" und "Citizens"

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von Sabine Mesicek

Die Vereinigten Staaten von Amerika waren von Anfang an eine Nation von EinwandererInnen. Zusammen mit Kanada galten die USA im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert als Fluchtstätten vor politischer Verfolgung, aber auch als "Traumländer", in denen man möglichst schnell möglichst viel erreichen konnte.

Bis Ende des 18. Jahrhunderts erlaubten die Vereinigten Staaten eine unbegrenzte Immigration — doch wie auch im "Mutterland" England durften in den damaligen britischen Kolonien zu Beginn nur jene wählen, die über ausreichend Landbesitz verfügten. Dies hatte zur Folge, dass in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung wählen durfte.

Um die amerikanische Staatsbürgerschaft zu erlangen, wurde im "Naturalisationsakt" von 1740 — neben dem Schwur auf die britische Krone — eine Wohnsitzdauer von sechs Jahren vorgeschrieben. Die nordamerikanischen Kolonien (später Staaten) übernahmen das in England vorherrschende Prinzip des "ius soli" (d.h. die Erlangung des Staatsbürgerschaftsstatus durch Geburt auf dem Staatsgebiet). Allerdings wurde dieses Prinzip erst durch den 14. Zusatzartikel auch in die Verfassung (1868) aufgenommen — nämlich, um die Staatsbürgerschaft zu erweitern und vor allem um die schwarze Bevölkerung in den USA rechtlich gleichzustellen.

1774, beim "Continental Congress Meeting" in Philadelphia, konnten die Verfasser der "Articles of Confederation" keine Übereinstimmung dahingehend finden, wem denn nun das Recht zu wählen zugestanden werden solle. Sie legten nur fest, dass die Mitglieder des Repräsentantenhauses von den Bürgern gewählt werden sollten. Dadurch überließen sie es der Regierung der einzelnen Staaten festzulegen, wer wählen durfte und wer nicht. Viele Staaten erweiterten daraufhin das Wahlrecht auch auf Immigranten. Das Ergebnis war ein "patchwork" von sich widersprechenden Regelungen.

"Fremde mit gutem Charakter" und amerikanische Steuerzahler

In der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung (1776) steht: "All men are created equal". Doch um das Wahlrecht in der neuen Demokratie zu erhalten, musste man weiß, männlich und Landbesitzer sein. In einigen Staaten waren dadurch mehr als 85 Prozent der Bevölkerung von der politischen Mitbestimmung ausgeschlossen.

Die Verfassung von Pennsylvania aus dem Jahr 1776 stellte fest, dass "jeder Fremde von gutem Charakter, der in die Vereinigten Staaten kommt, um sich niederzulassen, und bereits einen Treueschwur auf die Verfassung geleistet hat, Land erwerben und veräußern darf; und nachdem er ein Jahr hier gelebt hat, darf er sich ein freier Bewohner dieses Landes nennen, mit allen Rechten, über die auch ein dort Geborener verfügen darf, mit der Ausnahme, dass er erst nach zwei Jahren das passive Wahlrecht erlangt".

Erst 1790 — also nach Festlegung und Ratifizierung (1787/88) der US-amerikanischen Verfassung — wurde ein einheitlicher, für alle Staaten verpflichtender Einbürgerungsakt proklamiert. Sobald ein Immigrant zwei Jahre in einem Staat ansässig war, konnte er eine Petition bezüglich seiner Einbürgerung einbringen. Schon im Naturalisationsakt von 1795 wurde die Frist von zwei auf fünf Jahre angehoben, was sich bis heute — abgesehen von einer kleinen Unterbrechung 1798, als sie für die Dauer von vier Jahren auf 14 Jahre angehoben wurde — nicht geändert hat.

1818 änderte man die Verfassung von Connecticut dadurch, dass der Passus "inhabitants" in "citizens" geändert wurde. Erst unter Präsident Andrew Jackson (1829–1837) wurde das so genannte "allgemeine Wahlrecht" auf alle Steuerzahler ausgedehnt. Ausgeschlossen waren freilich noch immer Frauen, Sklaven und Indigene.

Wahlrecht für die "Anderen"

In einigen US-Staaten durften Immigranten, die noch nicht eingebürgert wurden, wählen. Als Wisconsin 1848 der dreißigste Staat der Union wurde, nahm er ein sehr liberales Wahlrecht an. Die Wahlvoraussetzungen waren, dass Männer mindestens ein Jahr im Staat gelebt hatten und auch erklärten, Staatsbürger werden zu wollen. Daraufhin übernahmen auch andere Staaten diese Praktiken. Von 1852 bis 1881 besagte etwa die Verfassung von Indiana, dass jeder weiße, männliche Einwanderer, der mindestens 21 Jahre alt war und mindestens ein Jahr in den Vereinigten Staaten gelebt hatte (davon mindestens sechs Monate in Indiana), in seiner Stadt oder dem Bezirk wählen durfte, wenn er erklärte, Staatsbürger werden zu wollen.

1850 wurde von einigen Einwanderungsgegnern eine neue Partei gegründet: die "Know-Nothings". Offiziell hießen sie "American Party", aber wenn sie jemand nach ihrer exklusiven, nationalen, protestantischen Partei fragte, antworteten ihre Mitglieder immer: "I know nothing." Sie betrieben eine rassistische Politik, unterstützten Tests, die die Fähigkeiten der Einwanderer auf Lesen und Schreiben überprüften, bevor sie wählen durften, und verlangten eine Ausdehnung der Naturalisierungsperiode von fünf auf 21 Jahre. Nachdem damals nur wenige Immigranten und Schwarze das englischsprachige Alphabet kannten, schien ihnen das ein wirksamer Weg, um diese Personengruppe vom Wählen abzuhalten.

Am 9. Juli 1868 wurde der 14. Zusatzartikel der US-Verfassung ratifiziert. Sektion 2 schützte alle männlichen Staatsbürger, die mindestens 21 Jahre alt waren, vor Wahlbehinderungen. Jeder Staat, der versuchte, diese Männer an der Ausübung ihres Wahlrechts zu hindern, hatte Repressalien zu erwarten. Damit wollte der Gesetzgeber erstmals auch andeuten, Afroamerikaner nicht mehr vom Wahlrecht auszuschließen, wie das in den südlichen Staaten häufig praktiziert wurde.
Zwei Jahre später trat der 15. Zusatzartikel in Kraft, der noch etwas weiter ging, indem er besagte, dass die Staatsbürger der Vereinigten Staaten in ihrem Recht zu wählen weder von den Vereinigten Staaten noch von einem einzelnen Staat aufgrund ihrer "Rasse, Farbe oder vorheriger Knechtschaft" behindert oder beschnitten werden dürfen.

Der Supreme Court überließ es aber den Regierungen der einzelnen Staaten, die Verantwortung für den Schutz dieser grundsätzlichen Rechte seiner Staatsbürger zu übernehmen. Einige Staaten erließen daraufhin Gesetze, die es Afroamerikanern fast unmöglich machten, dieses neu gewonnene Recht auch auszuüben. Es wurden z.B. hohe Steuern für die Ausübung des Wahlrechts verlangt, da jedoch die meisten Schwarzen ehemalige Sklaven und deshalb sehr arm waren, wurde ihnen dadurch die Möglichkeit zu wählen genommen. Oder man verlangte, obwohl der damals verbreitete Analphabetismus unter der schwarzen Bevölkerung bekannt war, dass die Wähler lesen und schreiben konnten; oder es wurden so genannte "Grandfather Clauses" eingesetzt, nach denen man verlangen konnte, dass nur jene wählen durften, deren Großvätern schon das Wahlrecht zugestanden war.

Etwa zur selben Zeit, 1874, bestimmten Alabama, Arkansas, Florida, Georgia, Indiana, Kansas, Minnesota, Missouri und Texas, dass die Staatsbürgerschaft keine Voraussetzung für das Wahlrecht bedinge, solange man erklärte, US-Staatsbürger werden zu wollen. In Minnesota wurde dieses Privileg 1898 wieder für verfallen erklärt dadurch wurde mehr als 84.000 Menschen das Wahlrecht entzogen.
1926 schaffte Arkansas als letzter Staat sein örtliches Wahlrecht für Ausländer ab. Somit endete die Praxis, das Wahlrecht auch an Nicht-Staatsbürger zu übertragen.

1920 trat der 19. Zusatzartikel der US-Verfassung in Kraft, der allen Frauen endgültig in allen Staaten das Wahlrecht zusprach: "The right of citizens of the United States to vote shall not be denied or abridged by the United States or by any state on account of sex."
1965 trat der bedeutendste Akt der bürgerlichen Rechte, der jemals vom Kongress angenommen wurde, in Kraft. Der "Voting Rights Act" war eine landesweite Bestimmung, die die Verwendung von Wahlrechten, Praktiken oder Vorgangsweisen verbot, die auf irgendeine Weise diskriminierend war (in Hinblick auf "Rasse" oder sprachliche Minderheiten).

Kanada: "Mäßigung und Toleranz"

Kanada ist ebenso wie die Vereinigten Staaten von Amerika ein relativ junger Staat Im frühen 17. Jahrhundert entstanden die ersten französischen und englischen Siedlungen und damit auch eine bittere Rivalität zwischen England und Frankreich, aus dem die Engländer 1759 in der Schlacht auf den "Plains of Abraham" in Quebec als Sieger hervorgingen. Als die französischsprachigen Kanadier unter britischer Herrschaft standen, verfolgten sie das Ziel, ihre Sprache, Kultur und Traditionen zu bewahren und fortzuführen.

Zu diesem Zeitpunkt wurde auch der Grundstein für Kanadas multikulturelle Vielfalt gelegt. Der Geist der "Mäßigung und Toleranz" ist seitdem charakteristisch für den kanadischen Bund. Anfangs dachte niemand daran, die Territorien des heutigen Kanada als Einheit zu betrachten, denn sie waren Teile des britischen Kolonialreiches und entwickelten sich unabhängig voneinander. Als die Vereinigten Staaten gestärkt aus dem Bürgerkrieg hervorgingen, glaubte man eine zukünftige Annexion verhindern zu müssen, deshalb schlossen sich am 1.Juli 1867 die Provinzen durch den "British North America Act" zum "Dominion of Canada" zusammen.

In der Zeit der englischen Besiedelung wurde das Wahlrecht nicht als etwas angesehen, zu dem alle Zugang haben sollten. Es durften nur Briten, und unter diesen auch nur jene Männer mit Grundbesitz, wählen. Ebenso konnte man sich als Wähler qualifizieren, indem man einen bestimmten Betrag an jährlichen Steuern ablieferte. In der Zeit vor 1867 wurde in jeder Kolonie Druck ausgeübt, das Wahlecht zu erweitern, denn es gab viele Bewohner, die nicht wählen durften, weil sie sich nicht als "loyale Bürger" gegenüber der britischen Krone verhielten oder aber weil sie Franzosen oder Katholiken waren. Allerdings wurden schon 1860 in British Columbia chinesische Immigranten und Indigene, etwas später auch Inder und Japaner vom Wahlrecht ausgeschlossen.

Wählen in Kriegszeiten

Unter dem "Dominion Elections Act" von 1900 durften nur jene Personen bei Bundeswahlen mitbestimmen, die sich auch an den Wahlen in den Provinzen beteiligen durften, was Frauen und Minderheiten automatisch vom Bundeswahlrecht ausschloss. 1908 wurde im "Municipal Elections Act" von British Columbia klargestellt, dass keine Asiaten oder Inder bei Gemeindewahlen mitwählen durften.

Der "War Time Election Act" von 1917 beraubte alle Ausländer, die einer Nationalität angehörten, die während des Ersten Weltkriegs Gegner von Kanada war und erst nach 1902 eingebürgert wurden, ihrer Wahlrechte. Hauptsächlich betroffen waren davon deutsche und ukrainische Kanadier, da Deutschland und Österreich-Ungarn Feinde der Kanadier im Ersten Weltkrieg waren. Gleichzeitig wurde das Wahlrecht während des Ersten Weltkriegs wieder ausgedehnt — und zwar auf die Bevölkerungsgruppen aus jenen Ländern, die Kanadas Kriegsziele unterstützten. Dadurch sollten mehr Stimmen für die Regierung gesichert werden.

Späte "Einigkeit in der Vielfalt"

Selbst mit dem weiteren "Dominion Elections Act" von 1920, der eigentlich ein allgemeines Wahlrecht für alle Bürger und auch Bürgerinnen von Kanada, die über 21 Jahre alt waren, anstrebte, blieben bereits bestehende rassische Ausschlüsse in einigen Provinzen aufrecht. In British Columbia durften z.B. weiterhin Menschen japanischer, chinesischer oder indischer Herkunft von jeglicher Partizipation bei Wahlen ausgeschlossen werden.

Die UreinwohnerInnen durften in keiner Provinz wählen, außer sie gaben alle ihre Besitzansprüche auf, was selten der Fall war. Diese Praxis wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg beendet. Offiziell erhielt die indigene Bevölkerung erst 1960 durch die "Canadian Bill of Rights" das Wahlrecht zugestanden. Und es sollte noch über zwanzig Jahre dauern, bis 1982 endlich das allgemeine Wahlrecht für alle KanadierInnen im "Canadian Charter of Rights and Freedoms" niedergeschrieben wurde.


Der Artikel basiert auf Auszügen aus der Diplomarbeit "Die Verfassungsautonomie im Bundesstaat am Beispiel der Entwicklung des Kommunalwahlrechts für AusländerInnen in Österreich, den USA und Kanada" (2002) von Sabine Mesicek, veröffentlicht auf der Homepage des Grazer MigrantInnenbeirats.