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Unsoziale Wende

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von Brigitte Theißl

Mitte Februar erstattete das österreichische Verteidigungsministerium Strafanzeige gegen Airbus – jenen Luftfahrtkonzern, bei dem die Republik 15 Stück der sogenannten Eurofighter-Kampfflugzeuge um einen Preis von rund 1,6 Milliarden Euro kaufte. Airbus habe die Republik Österreich vorsätzlich getäuscht und ihr Schaden zugefügt, so der Vorwurf, ein zweiter Untersuchungsausschuss soll darüber hinaus nun dubiose Geldflüsse über ein Netzwerk von Briefkastenfirmen klären. Die Eurofighter-Causa ist nicht der einzige politische Skandal, der das Land seit dem Ende der ÖVP-FPÖ/BZÖ-Regierung 2006 beschäftigt, das schwarz-blaue Erbe lastet schwer auf der Steuerzahlerin. Während Ex-Kanzler Schüssel, der einst Haiders GenossInnen in Regierungsämter hievte, abgetaucht ist und nur noch Interviews gibt, wenn er zum Zeichnen oder einem seiner anderen Hobbys befragt wird, ist das Ausmaß des Schadens, den sechs Jahre Schwarz-Blau hinterlassen haben, noch immer nicht restlos geklärt. Zahlreiche Verurteilungen gibt es mittlerweile zu verzeichnen, ein Big Player inszeniert sich allerdings noch immer als Opfer der Justiz: Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser, einst Liebling der Nation, in dieser Rolle nun von Sebastian Kurz abgelöst, wird 2017 nach über sieben Jahren Ermittlungen und taktischen Spielchen (vermutlich) vor Gericht die Geldflüsse rund um die BUWOG-Privatisierung erklären müssen. „Ein Staat im Totalumbau, ein verschworener Zirkel aus Politikern, Lobbyisten und Geschäftemachern und 60 Millionen Euro Beute“ – die Republik Österreich wurde unter Schwarz-Blau zum „Selbstbedienungsladen“, fassten die drei „Profil“-JournalistInnen Ulla Kramar-Schmid, Michael Nikbakhsh und Martin Staudiger die Wendejahre in einem Artikel im Jahr 2011 zusammen. Und dann wäre da noch das Hypo-Debakel, der größte Bankenskandal der Zweiten Republik, der die SteuerzahlerInnen laut Schätzungen zehn bis zwölf Milliarden Euro kosten wird.

Neoliberaler Umbau. All das erscheint frauenpolitisch nicht wirklich relevant – ist es aber in höchstem Maße. Zeitgleich mit der fortschreitenden Privatisierung von Gemeingütern und dem Aufschwung der Lobbyisten-Wirtschaft wurde von der FPÖVP-Regierung vor allem ein Projekt systematisch vorangetrieben: der Sozialabbau. Auch wenn Österreich im Vergleich zu vielen anderen Staaten sowohl innerhalb als auch außerhalb der Europäischen Union nach wie vor über ein gut ausgebautes System der sozialen Sicherung verfügt: Kürzungen beim Arbeitslosengeld, die Streichung von Familienzuschlägen und Selbstbehalte im Gesundheitssystem sind nur einige Beispiele für den schleichenden Rückbau während der Wendejahre. Aus geschlechterpolitischer Perspektive wird die 2004 beschlossene Pensionsreform Frauen besonders hart treffen: Der sogenannte Durchrechnungszeitraum bezieht sich nicht mehr wie vor der Reform auf die 15 besten Verdienstjahre, sondern auf die gesamte Erwerbskarriere, und wird somit die ohnehin niedrigen Pensionen von Frauen weiter drücken (siehe an.schläge VII/2016). Privilegien für Beamte und (ehemalige) MitarbeiterInnen staatsnaher Unternehmen bleiben indes bestehen.

Wir müssen sparen! Die Sparpolitik, die den Sozialstaat im Visier hat, fand auch nach der Abwahl von Schwarz-Blau kein abruptes Ende – und mit der Finanz- und Wirtschaftskrise eine neue Legitimation. „Zunächst hat sich nach der schreckhaften Erstarrung Ende 2008 bis etwa Mitte 2009 die neoliberale Reaktion formiert und erfolgreich ihre Medienmacht eingesetzt, um Deutungshoheit im Hinblick auf die Krise, deren Ursachen und entsprechende politische Antworten zu gewinnen“, beschreibt Ökonomin Gabriele Michalitsch im an.schläge-Interview (siehe III/2016) den Diskurs um die Krise. In den Worten von ÖVP-Vertretern, jener Partei, die seit 1987 Regierungsverantwortung trägt, klingt das folgendermaßen: „Die ÖVP spricht sich klar gegen neue Schuldenmacherei und alt-linke Rezepte aus. Neue Staatsschulden auf Pump sind das Unsozialste überhaupt, weil sie von der nächsten Generation zurückgezahlt werden müssen“, heißt es in einer Aussendung von Generalsekretär Werner Amon.

Zu Begriffen wie „sozial“ oder „Gerechtigkeit“ hat die ÖVP seit jeher ein spezielles Verhältnis. Wenn Landesparteiobmann Gernot Blümel Wien mit Slogans wie „Gerechtigkeit für die Leistungswilligen!“ zupflastert, denkt er nicht an junge Menschen, die sich ohne ein steuerfreies Erbe etwas aufbauen wollen oder als ArbeiterInnen-Kinder einen Studienabschluss anstreben. Das leistungslose steht bei der ÖVP unter Artenschutz und wird gerne mit der irreführenden Erzählung der kleinen Hausbesitzerin illustriert. Und auch hier haben Frauen in Österreich das Nachsehen: In weiblichen Single-Haushalten wird deutlich weniger Vermögen geerbt.

Sozialbericht. Der vor Kurzem erschienene Sozialbericht des Sozialministeriums liefert einen Überblick zur tatsächlichen Verteilung von Vermögen und zu sozialpolitischen Entwicklungen. So besitzt das reichste Prozent vermutlich ein Drittel des gesamten privaten Vermögens in Österreich [1], ein Wert, der höher ist als in allen anderen untersuchten EU-Ländern. Der Vermögenstransfer über Erbschaften beträgt indes jährlich zwölf Milliarden Euro und wird weiter rasant steigen. Bildungschancen sind hierzulande wiederum stark vom Haushaltseinkommen des Elternhaushalts abhängig – die soziale Mobilität zwischen den Generationen ist also gering. Ein weiterer Wert, bei dem Österreich an der Spitze steht, ist der Gender Pay Gap: In Österreich gibt es einen der höchsten Unterschiede zwischen den Stundenlöhnen von Männern und Frauen in Europa. Diese Faktenlage, die schon von zahlreichen Studien belegt wurde, wird von einem Großteil der Bevölkerung immerhin als ungerecht empfunden, soziale bzw. linke Rezepte stehen aktuell aber keineswegs auf der Tagesordnung der Regierung. Laut der European Social Survey sind 83 Prozent der ÖsterreicherInnen jedoch durchaus der Meinung, es sei Aufgabe der Regierung, die Einkommensunterschiede zu reduzieren. Doch die Debatte um verstärkte Fluchtbewegungen hat den (ökonomischen) Krisendiskurs noch verschärft: So dienen die hohen Kosten für die Mindestsicherung in Wien als Vorlage für ein „Wir gegen die“, die vielen Vorteile einer – ohnehin sehr beschränkten – Grundsicherung werden kaum noch öffentlich diskutiert, vielmehr sind sie Treibstoff für eine unmenschliche Law-and-Order-Politik.

Women*: Fight back! Law and Order scheint auch die Losung des neuen Innenministers Sobotka zu sein, der der Regierungspolitik bereits seinen Stempel aufgedrückt hat. Das neue Arbeitsprogramm, das die Regierung nach dem gefühlten zwanzigsten Neustart präsentierte, beinhaltet eine Migrations- und Sicherheitspolitik, die Lisa Mittendrein von Attac auf dem „Mosaik“-Blog als „autoritär und rassistisch“ bezeichnet. Von einer erhofften linken Wende durch Kanzler Kern ist wenig geblieben – Frauenpolitik spielt dementsprechend im Regierungsprogramm keine Rolle. Die lang angekündigte Reform des Unterhaltsgesetzes fehlt darin ebenso wie dringend notwendige Aufstockungen im Gewaltschutz und Verbesserungen in der Versorgung von Asylsuchenden. Der plötzliche Tod der Frauen- und Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser verstärkt nun das frauenpolitische Vakuum im Staat – nur eine starke außerparlamentarische Frauen*bewegung wird es füllen können.



Dieser Beitrag erschien auch in: an.schläge 2017, II / 2017, Politik. Weitere Texte von Brigitte Theißl: denkwerkstattblog



Fußnoten

[1] Exakte Daten zur Vermögensverteilung liegen nicht vor, da entsprechende Studien auf Befragungen basieren

Brigitte Theißlist freie Journalistin und Erwachsenenbildnerin und arbeitet zu den Themen feministische Bewegungen, Netzkultur, Klasse und Klassismus und Innenpolitik. Sie bloggt auf www.denkwerkstattblog.net und ist seit 2013 Redakteurin bei den an.schlägen: an.schläge .