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Rapadura ist süß, aber gar nicht weich

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von Danielli Cavalcanti

Eines Tages sagte unsere Deutschtrainerin, dass wir die Werte und Regeln, die in Österreich gelten, lernen müssen. Dann bekam jede Kursteilnehmerin eine Broschüre. Die Trainerin sagte, dass wir mit den einfachsten Sachen beginnen sollen und las vor: "Wenn man Nachbarinnen und Nachbarn im Garten, auf der Straße oder im Haus trifft, ist es respektvoll, wenn man sich grüßt oder kurz miteinander spricht."

Auch wenn ich die Begeisterung der Trainerin für das Thema interessant fand, war ich trotzdem von ihrer Aussage irritiert. Natürlich merkte ich schon längst, dass in Österreich gerne gegrüßt wird, und so versuchte ich auch mitzumachen. Letztendlich, wer will nicht höflich wirken?

Aber wie schaffte ich es überhaupt, jemanden zu grüßen, wenn die Person entweder den Boden, die Wand oder die Luft ansieht statt mich? Wahrscheinlich ist es nicht so wichtig, sich "in die Augen zu schauen", so wie es beim Anstoßen ist?
Übrigens, wo ich herkomme, soll man sich auch bei "Prost" in die Augen schauen, aber nur, weil man sonst riskiert, sieben Jahre lang schlechten Sex zu haben. Für die Mehrheit der Menschen also eine Katastrophe!

Obwohl ich am Anfang des Erwerbens der deutschen Sprache die Begrüßungen Grüß Gott, Servus und Griaß Sie ein bisschen komisch fand und lieber Guten Tag sagen wollte, wurden sie mit der Zeit doch zu meinem Lieblingsbegrüßungs repertoire, egal ob etwas zurückkam oder nicht.

Selbstverständlich fragte ich mich, warum ich Menschen weiter grüßen möchte, wenn sie mir überhaupt keine Erwiderung schenken? Ist es eine Frage der Ergebenheit, der Liebedienerei, die viele Migrant_innen aufgrund des Wunsches, in der Residenzgesellschaft akzeptiert zu sein, leisten?
Ist das die Erziehung der Mutter?
Ist das die Anziehung der Widerstandskraft? Weil wir ja Österreich lieben und dieses schöne Land nie verlassen werden? [1]
Ois!

Da ich immer wieder Menschen im Treppenhaus, in der Arztpraxis, im Fitnessstudio, in Geschäften usw. grüße und meistens nicht zurückgegrüßt werde, kultiviere ich die Selbstbegrüßung in Gedanken: "Griaß dich, auch dir einen schönen Tag, meine Liebe!" Wenn ich mich daran gewöhne, nicht schön und fair behandelt zu werden, dann ist es gefährlich. Humor und Selbstliebe sind Mittel, damit wir uns auf schöne Weise weiter menschlich spüren können.

Als ich mit der Deutschtrainerin darüber sprach, sagte sie, dass ich wahrscheinlich zu leise spreche oder die Menschen mich nicht ganz verstehen würden. Deswegen beschloss ich, ein Experiment mit meiner Nachbarin vom Erdgeschoss zu machen, die auf keine meiner Höflichkeitsäußerungen reagierte. Und als ich sie das nächste Mal traf, begrüßte ich sie mit dem Appell Feuer statt Grüß Sie.
Zu meiner Überraschung sagte sie: "Was?"
Ich wiederholte: "Feueeeer!"
Sie sagte: "Wo? Um Gottes willen!"
So riss ich die Augen auf und sagte zu ihr: "Gott sei Dank, Sie sind nicht stumm!" Und dann lächelte ich.
Sie ging einfach schimpfend weg.

Bei unserer nächsten Begegnung lächelte ich sonnig, aber über ihr blieb einfach eine große graue Wolke. Ich begrüßte sie, es kam aber nur eine erfrierende Luft aus ihrer Nase. So sagte ich "Freudenfeuer", mit der Hoffnung, dass sie es auch ein bisschen lustig finden könnte und wir uns auf zukünftige Begrüßungen freuen könnten. Sie ignorierte mich weiter.

Ich verstehe nicht, warum die Trainerin denkt, die Begrüßung ist einfach zu lernen. Wie kriegt man es tagtäglich hin? In der Praxis ist die Theorie ganz anders oder auf Brasilianisch: Rapadura[2] ist süß, aber gar nicht weich.
Na ja, ich hoffe nur, falls es wirklich mal Feuer im Haus gibt, dass ich nicht die Person bin, die sie warnen soll. Vielleicht wird sie mir nicht glauben und denken, dass ich in Wirklichkeit "Grüß Gott!" zu ihr sagen will. Um Gottes willen!




Fußnoten

[1] Inspiriert vom maiz-Projekt: Austria, we love you!
[2] Rapadura ist eine getrocknete zähe Melasse aus Zuckerrohr.

Danielli CavalcantiIch wurde, in 1978, in Brasilien, geboren. Durch das Fach „Reine und angewandte Liebe“, das von meiner Mutter beigebracht wurde, konnte ich meine ersten intensiven Unterrichte in Feminismus bekommen. In Österreich habe ich mehr als 9 stolze, herausfordende, schöne und unvergessliche Jahre im Verein maiz, ein Verein von und für MigrantInnen, in Linz, gearbeitet. Flor de Linz ist mein erstens publiziertes Buch. Es ist eine Erklärung von Liebe und Bewunderung an die Migrantinnen, die simbolizieren Kampf, Resistenz und Beharrlichkeit, die bilden solidarischen Netzen wohin sie kommen und gehen. Seit fast 2 Jahren wohne ich in Dänemark. Wieder eine neue Herausforderung: andere Kultur, andere Sprache, neue und wiederholende Erfahrungen. Mit diesen Letzten ist es nicht unbedingt leichter zu gehen, besonders wenn sie schmerzhaft sind. In der Migration, ist es eine Überlebensstrategie sich als Resilienzexpert zu bilden und jede Person macht es in unterschiedlichen Formen. Wichtig ist es die klimatische Bedingung jedes internen Gartens zu respektieren. Zum Überleben zwischen den Mantel und den Zaun der Migration schreibe ich auch in jardimmigrante – der Garten der stochenden Prosa, die durch Migrationspolen kultiviert ist. Danielli jardimmigrante.wordpress.com flordelinz.wordpress.com