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Morgen, Kinder, wird's was geben ...

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von Lisa Bolyos

Noch bis Mitte der 1980er Jahre war Migration in der Kinderliteratur eine Frage des Kalten Krieges oder der Arbeitsmigration. Ich erinnere mich an das abendliche Vorlesen meiner älteren Schwestern aus Eveline Haslers Komm wieder, Pepino (1967). Pepino, Kind von italienischen Gastarbeiter_innen in der Schweiz, erlebt das Neu- und das Unwillkommensein in einem Land, in das er nie ziehen wollte. In Moni findet er eine autochthone Freundin, die ihn verteidigt und die im gemeinsamen Italien-Urlaub einen Crashkurs in "Sich-fremd-Fühlen" verpasst kriegt. So endet die Erzählung mit einem klassenübergreifenden Equilibrium.

Nachdem 1993 in Deutschland das Grundrecht auf Asyl eingeschränkt worden war und ein Jahr zuvor in Österreich die "Ära Löschnak" begonnen hatte, wurde Abschiebung zunehmend zu einem öffentlich verhandelten Thema. Ab 1997 trafen die neu geschaffenen Aufenthaltsgesetze vor allem Menschen, die aus jugoslawischem Kriegsgebiet geflohen waren; aber auch Migrant_innen aus den sozialistischen "Bruderstaaten" der ehemaligen DDR, die nach der Wende weiterhin in Deutschland leben wollten, wurden sukzessive von Abschiebung bedroht. Der verschärfte Einwanderungsdiskurs und die neuen gesetzlichen Regulierungen schlugen sich auch in der Kulturproduktion nieder – und fanden langsam in den Mainstream der Jugend- und Kinderliteratur.


"Abschiebung ist bekloppt"

"Jetzt ist ja kein Krieg mehr im Kosovo. Da braucht man keinen Schutz mehr hier in Deutschland", gibt der zwölfjährige Nehan in Regina Ruschs Amira, du gehörst zu uns! (2009) resigniert die Behördenwahrheit wieder. Der Kinderroman erzählt die Geschichte einer Bleiberechtsaktion von Jugendlichen, die sich gegen die Abschiebung ihrer Mitschülerin wehren. Das Motiv der Gleichheit aller Kinder, unabhängig von Geburtsort und Reisepass, ist Dreh- und Angelpunkt der ganzen Geschichte (und wird dabei durchaus ein wenig überstrapaziert).

Amira, deren Eltern aus Bosnien nach Deutschland gezogen sind, findet eines Tages den Abschiebebescheid der Ausländerbehörde im Briefkasten: Sie soll zurück in "ihre Heimat". Ihre Schulfreund_innen richten den "Herren Politikern" aus, dass sie da schon ist: in ihrer Heimat. Die Kinder beschließen, sich zu organisieren, und mit Hilfe der Lehrerin, eines Anwalts und eines Arztes, der sich später als Fluchthelfer entpuppt, drehen sie das Ruder noch einmal herum. Denn "Abschiebung", so schreibt ein Mitschüler auf sein Transpi, "ist bekloppt".

Das findet auch Julie. In ihre Schulklasse im britischen Bootle kommt Dschingis aus der Mongolei. Die beiden freunden sich an, gemeinsam stillen sie ihr brennendes Interesse an der Welt um sie herum. Als Dschingis Familie abgeschoben wird, ist Julies größte Angst, dass er in der Mongolei friert. Der unvergessene Mantel (2012) von Frank Cottrell Boyce ist einer Geschichte nachempfunden, die ihm Schüler_innen erzählt haben.

Es geht um eine Freundschaft, die nichts mit der Behördenrealität zu tun hat, aber auch um Bilder vom Fremdsein und Projektionen auf Unbekanntes – und darum, dass es eine freudige Erkenntnis sein kann, sich getäuscht zu haben. So ergeht es Julie mit den geheimnisvollen Polaroidfotos, die ihr Dschingis als Bilder von mongolischen Landschaften verkauft: Peu à peu kommt sie drauf, dass die darauf abgebildeten "Blumenbäume" im Schulhof in Bootle wachsen, der "Zauberberg" ein Schutthaufen ums Eck ist und die "magische mongolische Oase" gleich hinter den Mülltonnen liegt. Und der "echt mongolische" Mantel, den Dschingis in der Schulgarderobe vergessen hat, entpuppt sich als gutes Hippie-Stück aus dem lokalen Second-Hand-Laden. Ende gut, nicht alles gut: Julie und Dschingis müssen mit der Abschiebung und der Distanz leben lernen – sie werden "Friends on Facebook".


Herumgeschobene Kindheiten

Djamal Samiri schreibt in seinem autobiografischen Roman Abgeschoben (gemeinsam mit Annette Weber, 2011) von den Widersprüchen, die ein Leben mit ungewissem Aufenthalt bringt. Djamal ist nicht, wie Amira, ein Teenie mit einem "ganz normalen" Leben und ganz normalen Sicherheiten, die plötzlich und unerwartet von einem Behördenschrieb ins Wanken gebracht werden. Er hat auch nicht, wie Dschingis, Zeit, sich einer kreativen Liebe zur Welt um ihn herum hinzugeben. Djamals Eltern leben getrennt, der Vater ist gewalttätig, die Mutter scheint wegen der Verhältnisse, in denen sich ihr Leben abspielt, völlig durch den Wind zu sein.

Der Jugendliche hat mit mehr zu kämpfen als "nur" dem deutschen Staat. Die drohende Abschiebung in den Iran würde sein Leben gefährden. Und in Deutschland, wo er zwischen Notschlafstelle, Justiz und Familie hin- und hergeschoben wird, hat er keinen Raum, um einfach mal in Ruhe erwachsen werden zu können. "Diesen Teufelskreis", so schließt er seinen Bericht, "konnte ich nur durchbrechen, weil ich mir irgendwann Hilfe von anderen Menschen geholt habe, die nicht aus meiner Familie kamen." Djamals Resümee: "Was ich bisher in meinem Leben gelernt habe, ist (...), den Kopf nicht hängen zu lassen, die Hoffnung nicht aufzugeben und an mich selbst zu glauben."

Rafiq ist das Alter Ego des jungen Autors Anoush Elman. Gemeinsam mit dem niederländischen Schriftsteller Edward van der Vendel erzählt er in Der Glücksfinder (2011) von der Kindheit eines Jungen, der mit seinen Eltern aus Afghanistan in die Niederlande flieht. Langsam und mühevoll erarbeitet sich Rafiq neue soziale Netzwerke, während er ständig mit dem Druck umgehen muss, dass sein Aufenthalt unsicher ist. Von einem Kind mit so viel Lebenserfahrung zu lesen, mutet erstaunlich an. Wie kann ein so junger Mensch überhaupt so viel verdauen? Doch es gibt auch Momente, in denen Rafiq nicht mehr kann: "Ich wusste nicht, was ich hoffen sollte, ich wusste nicht mehr, in welchem Land ich war (...), ich wusste nicht, was ich glauben sollte und was sonst noch alles geschehen konnte."
Für das Buch wählten die beiden Autoren sowohl ein "Happy Ending" als auch ein paar Seiten weiter ein "Alternative Ending". Bleiberecht oder keines, Ende der langen Suche nach einem Zuhause oder noch eine Runde, Ausruhen oder Weiterkämpfen: Wie in so vielen echten Leben bleibt der Schluss auch in diesem Roman offen.

Erklär' mir den Krieg …

In einem Band über die Züricher Jugendbewegung der 1980er Jahre lese ich auf einem Foto den Spruch: "Erklär' mir nicht den Krieg, den versteh' ich sowieso nicht." Natürlich ist eine solche Naivität nicht gerade alltagstauglich, aber die Verweigerung, Gewalt verstehen zu wollen, hat auch etwas Berührendes. Wie erklärt man also einem Kind die Praxis des Abschiebens?
Vielleicht so: Hör mir gut zu, Mäuschen. Es gibt Menschen, die dürfen hier leben, und solche, die dürfen es nicht. Wer die einen sind und wer die anderen, das ändert sich immer wieder. Wer Glück hat, wird als unabschiebbar geboren. Oder durch den Wandel der Gesetze dazu gemacht. Treffen kann es theoretisch aber jede_n: dich, deine kleine Schwester, deinen liebsten Kindergartenfreund, die Klassenbeste. Und treffen kann es dich immer: zu jeder Tages- und Nachtzeit, beim Frühstück, wenn die Schule aus ist oder in den Osterferien. Zu Weihnachten seltener – weil die Entrüstung deiner christlichen Nachbar_innen dann potenziell größer ist. Und darauf hat der Staat keine Lust.

Erfreulicherweise gibt es immer mehr Kinder- und Jugendbücher, die sich dieser Frage annehmen. Sie tun das weniger, um Abschiebung zu erklären, als um sie zu besprechen. Um die Last in Worte zu fassen, die diese staatliche Praxis auf ein Leben legt und die scheinbare Zufälligkeit, mit der die Betroffenen ausgewählt wurden. Letztere ist – siehe Pepino und Moni – ein zentrales Moment in der Kinderliteratur: Wieso wird das eine Kind vom Staat so anders behandelt als das andere, obwohl sie sich im Spielen, im Streit, in der Freundschaft, in ihrem Interesse an den Dingen um sie herum, in ihrem Bildungshunger, in ihren Ängsten und Wünschen an die Zukunft so ähnlich sind? Und da ist außerdem noch die unverfrorene Freude, mit der die Literaturkinder trotz allem in die Welt schauen, um die absurde Wucht, die ein Angriff der Fremdenpolizei auf ein Leben bedeutet, erst so richtig greifbar zu machen.



Besprochene Literatur

Frank Cottrell Boyce: Der unvergessene Mantel. Hamburg: Carlsen 2012. Ab 10 Jahren.

Anoush Elman, Edward van de Vendel: Der Glücksfinder. Hamburg: Carlsen 2011. Ab 14 Jahren.

Eveline Hasler: Komm wieder, Pepino. Zürich: Benzinger 1967. Ab 6 Jahren.

Regina Rusch: Amira, du gehörst zu uns! Ein Kinderroman zum Thema Abschiebung. Würzburg: Arena Life Junior 2009. Ab 9 Jahren.

Djamal Samiri, Annette Weber: Abgeschoben. Ein autobiografischer Jugendroman. Mülheim: K.L.A.R. reality/Verlag an der Ruhr 2011. Ab 13 Jahren.

Lisa Bolyosist Redakteurin bei der Straßenzeitung "Augustin" und für die Öffnung aller Außengrenzen.