"Ich hasse Rosa!"
Der Gang in Filialen größerer Buchketten kann aus vielen Gründen deprimierend sein. Beispielsweise kann es passieren, dass auf die Frage "Ich suche Bücher für Zehnjährige" mit der Gegenfrage "Bub oder Mädchen?" geantwortet wird. Wie bei den meisten Konsumartikeln sind die Verkaufsregale von Kinder- und Jugendbüchern nach Geschlechtern getrennt: Für Mädchen gibt es Hexen und bald mal Liebesgeschichten, während bei Buben Ritter und Detektivgeschichten hoch im Kurs stehen.
Bei Büchern für die Allerkleinsten, die kaum bis wenig Text enthalten, ist das etwas anders. Klein(st)kinder dürfen (noch) unisex lesen und schauen, jedoch reproduzieren schon die simpelsten Bildwörterbücher Geschlechterstereotype, Rassismen und fragwürdige Normen. Dies könnten Eltern zwar als Diskussionsansatz aufgreifen und anhand derartiger Beispiele erklären, warum etwas auf eine bestimmte Weise dargestellt wird und wie es auch anders ginge. Doch realistischerweise bleibt dies im stressigen Elternalltag oft lediglich eine nette Idee.
(F)Empowerment
Es gibt aber einige Lichtblicke am Kinderbuchhimmel, und manche finden sich sogar auf den Tischen der stinknormalen Buchhandelsketten. Die weltbeste Lilli (Gerstenberg) zum Beispiel ist ein Bilderbuch, das schon bei Eineinhalbjährigen gut funktioniert. Es handelt von einer coolen und vielschichtigen Protagonistin mit vermeintlich widersprüchlichen Persönlichkeitsmerkmalen, die sich garantiert nicht in irgendwelche Rollen pressen lässt, und beinhaltet als Highlight einen Spiegel samt (F)Empowerment-Aufruf. Die im selben Verlag erschienenen Bestseller-Wimmelbücher von Rotraud Susanne Berner bilden diverse Stadtbewohner_innen ab: So sind dort auch Väter für die Kinderbetreuung zuständig, Frauen arbeiten in traditionellen Männerberufen, People of Color und Menschen im Rollstuhl werden sichtbar gemacht. All das ist in Kinderbüchern bis heute nicht selbstverständlich.
Nicht-normative Alternativen
Nach anderen Büchern muss eine etwas länger suchen, zum Beispiel nach solchen, die sich explizit auf kritische Weise mit Geschlechterrollen auseinandersetzen oder sich mit Familienkonstellationen abseits der Norm befassen. In Ich hasse Rosa! (Jacoby & Stewart) stellt die Hauptfigur das von ihr geforderte Rollenverhalten infrage, in Paul und die Puppen (Beltz & Gelberg) geht es um einen puppenspielenden und Röcke tragenden Jungen im Kindergartenalltag, und Zwei Papas für Tango (Thienemann) thematisiert schwule Elternschaft. Ebenfalls von schwuler Liebe handeln König und König (Gerstenberg) und Luzie Libero und der süße Onkel (Beltz & Gelberg), das vor allem auf die Eifersucht gegenüber dem neuen Partner des Lieblingsonkels eingeht.
Für Bücher mit lesbischen Protagonistinnen muss leider auf englischsprachige zurückgegriffen werden: Mommy, Mama and Me (Tricycle Press) enthält zumindest so wenig Text, dass es relativ einfach übersetzt vorgelesen werden kann. Du gehörst dazu: Das große Buch der Familien (Fischer Sauerländer) erzählt von Kindern, die bei hetero- und homosexuellen Elternpaaren oder AlleinerzieherInnen leben oder mit Adoptiv-, Pflege- oder ihren Großeltern aufwachsen. In diesem Buch zeigen viele verschiedene Lebensentwürfe und -realitäten von Familien, wie unterschiedlich das Zusammenleben sein kann. Um dieses Thema geht es auch bei Unsa Haus und andere Geschichten (NoNo Verlag), das als explizit nicht-normative Kinderliteratur verfasst wurde.
Wo finden?
Eine gute Anlaufstelle auf der Suche nach Kinderbüchern abseits des normativen Einheitsbreis sind linke und feministische Buchhandlungen, die über ein feines Repertoire verfügen (in Wien zum Beispiel die Buchhandlung ChickLit). Auch im Internet kann eins fündig werden: So haben es sich zum Beispiel die Blogger_innen von buuu.ch zur Aufgabe gemacht, ausgewählte Kinderbücher (unter anderem mit Zuhilfenahme des Bechdel-Tests [1]) zu rezensieren, weiterzuempfehlen oder gegebenenfalls auch ihrem Ärger über diese Luft zu machen.
Dieser Beitrag erschien auch in: an.schläge 06/2013.
Fußnote
[1] Ein ursprünglich für Filme gedachter Test, mit dem Bücher nach folgenden Kriterien untersucht werden: Kommen mindestens zwei Frauen*/Mädchen*, die einen Namen haben, vor? Sprechen sie miteinander? Über etwas anderes als einen Mann*/Jungen*?