Für einen Perspektivenwechsel
"Bist du geil?", fragt mich der Kunde, mitten unterm Fick. Ich denke mir: "Was ist denn das für eine Frage." [1]
Sex Shops, Laufhäuser, Bordelle, Peepshows ... Rotlicht, Lippenstift, Stöckelschuhe, Sex ... Die Betrachtung der lukrativen Sexindustrie kann sich selten von einem voyeuristischen Blick befreien. Zugleich wird der Blick auf Sexarbeiter_innen oft von moralischen, stigmatisierenden Vorstellungen dominiert. [2] Sexarbeiter_innen werden meist auf ihre Tätigkeit reduziert und somit stigmatisiert. Sie werden auch gerne und häufig als Opfer wahrgenommen und dargestellt – entweder als Opfer von Frauenhandel (dies betrifft vor allem die Wahrnehmung von Migrantinnen in der Sexarbeit), Opfer von Gewalt oder des patriarchalen Systems oder aber betroffen von Armut und daher aus ökonomischen Gründen gezwungen, in die Sexarbeit einzusteigen. Obwohl sie die zentralen Akteur_innen sind, werden ihre zunehmende Prekarisierung ebenso wie ihre Rechte und Widerstandsstrategien ausgeblendet. So schlägt die gesellschaftliche Doppelmoral zu und trifft dabei vor allem Migrant_innen. [3]
Innerhalb bestimmter feministischer Zugänge wird Sexarbeit oftmals per se als Unterdrückung von Frauen dargestellt. Zudem wird Sexarbeit oftmals nur aus der Perspektive von NGOs und Beratungsstellen und der damit verbundenen spezifischen Problemstellungen öffentlich präsentiert. [4] Sexarbeit wird auch zunehmend aus einer wissenschaftlichen Perspektive behandelt, wobei ebenfalls viel Voyeurismus und Scheinwissenschaftliches mit bestimmten (meistens ökonomischen und migrationspolitischen) Interessen einhergehen.
Sexarbeit – einer von vielen prekarisierten Arbeitsbereichen im Dienstleistungssektor
Ob Sexarbeit, bezahlte Hausarbeit, Kranken- und Altenpflege, Kinderbetreuung, Mini-Jobs im Supermarkt und in Hotels oder Beschäftigung in Call Centern – es handelt sich um prekarisierte Arbeitsbereiche im informellen Sektor, in der die Anzahl und die Bedeutung von Migrant_innen rasant zunehmen. Dieser Zuwachs hängt unmittelbar mit der Krise der Sorgesysteme in den reichen Ländern [5] zusammen und ist verstrickt mit der restriktiven europäischen sowie österreichischen Einwanderungspolitik, die wiederum mit den globalen ökonomischen Bedingungen und dem Umbau der westeuropäischen Wohlfahrtsregime zusammenhängt.
Verursacht werden dadurch zum Beispiel Leistungskürzungen bei der sozialstaatlichen Unterstützung im Care-Bereich und ein durch die gestiegene weibliche Erwerbstätigkeit dezimiertes Reservoir an Gratis-Arbeitskräften. Dies wiederum führt zu einer erhöhten Nachfrage nach bezahlter Haushaltsarbeit [6] – Reinigungskräfte, Kinderbetreuung, Altenbetreuung, sexuelle Dienstleistungen usw. –, die auf einem wenig regulierten "Sonderarbeitsmarkt" für Migrantinnen befriedigt wird: einerseits durch Frauen aus Nicht-EU-Ländern, die häufig keinen regulären Aufenthaltsstatus haben, andererseits durch Bürgerinnen der erweiterten EU. Die Wanderbewegungen aus den armen in die reichen Länder tragen folglich dazu bei, dass die Care-Krise in den westlichen Staaten entschärft und die Not erfolgreich verschoben wird.
Die steigende Nachfrage nach Sexarbeit hängt außerdem mit dem Zuwachs der so-genannten Sexindustrie zusammen. Die Bezeichnung "Sexindustrie" signalisiert, welches Ausmaß der Sexmarkt im Allgemeinen angenommen hat, und markiert seine Kapazität, Einkommen zu generieren, sowie seine Wechselbeziehungen mit anderen großen Industrien und Infrastrukturen (wie zum Beispiel dem Tourismussektor). Sie zeigt auch die starke Verbreitung bzw. Vielfältigkeit der mit der Sexindustrie assoziierten Geschäfte im Vergnügungssektor (Massagesalons, Sauna, Table-Dance, Peepshow, Striptease, Telefonsex, Cyberporno, Sex Shops, Pornovideos etc.) und im Sektor der sexuellen Dienstleistungen (in Privatapartments, Clubs, am Straßenstrich etc.).
Das Wachsen der Sexindustrie wiederum ist einerseits verbunden mit Globalisierungsprozessen, in denen neue transnationale Märkte gesucht werden, andererseits hängt er mit dem vermehrten Konsum und der damit einher gehenden Schaffung von Bedürfnissen zusammen. Durch den Lebensstil in den "entwickelten" Ländern entsteht das Bedürfnis nach "Freizeit" und Urlaub, das sich nach Orten der "Ablenkung" und des Exotischen ausrichtet, an denen Aus-tauschbeziehungen auf affektiv-sexuellem Gebiet versprochen werden. In diesem Zusammenhang sind die Migrationsbewegungen, die an die Nachfrage von sexuellen Dienstleistungen gebunden sind, ausschlaggebend.
Rahmenbedingungen von Sexarbeit
Sexarbeiter_innen haben in Österreich zwar zahlreiche Pflichten (Registrierung, Steuerpflicht, wöchentliche amtsärztliche Untersuchungen, Kranken- und Unfallversicherung, Tätigkeit nur an genehmigten Arbeitsorten), aber unverhältnismäßig wenige Rechte (wie etwa Arbeitnehmer_innenschutzbestimmungen). Prostitution gilt weder als unselbstständige Erwerbstätigkeit noch ist sie als Gewerbe anerkannt. Sexarbeiter_innen müssen daher als Scheinselbstständige betrachtet werden, da es an den Arbeitsorten sehr wohl fixe Arbeitszeiten und Regelungen gibt.
Die Liste der Missstände und Nachteile ist lang: ein unregelmäßiges Einkommen, Arbeit oft sieben Tage die Woche, zwölf Stunden Arbeit pro Tag/Nacht, in verrauchten Räumen, bei hohem Lärmpegel, ohne Fenster, strenge Kontrollen, Kunden, die Unsafe-Sex-Praktiken einfordern usw.
Ein Faktor, der die Prekarisierung von migrierten Sexarbeiter_innen (in Österreich sind ca. achtzig Prozent der Sexarbeiter_innen Migrant_innen [7]) im Besonderen fördert, ist ihr unsicherer sozialer Status. Aufgrund der restriktiven Migrationspolitik wird es für Personen aus Nicht-EU-Ländern beinahe unmöglich, legal in der Sexarbeit tätig zu sein. Bereits mit der Novelle zum "Ausländerbeschäftigungsgesetz" 2006 [8] wurde dazu beigetragen, dass Sexarbeiter_innen, die seit Jahren mit dem sogenannten "Selbstständig ohne Niederlassung"-Titel gearbeitet hatten, illegalisiert wurden. Diese Unsicherheit schreibt sich in der Ausgrenzung und Stigmatisierung von Sexarbeiter_innen, die sich auf verschiedenen Ebenen vollziehen, ein: auf rechtlicher Ebene verschränken sich Regelungen im Bezug auf Migration und Sexarbeit zu einem unübersichtlichen Gebilde, das Gefahren – von der Bestrafung wegen einer Verwaltungsübertretung bis hin zur Abschiebung – mit sich bringt.
Trotz der herrschenden prekären Verhältnisse und Missstände zeigt unsere jahrelange Erfahrung beim Verein maiz in der Arbeit mit Sexarbeiter_innen, dass gewisse Vorteile in der Sexarbeit nicht unterschätzt werden dürfen: Es ist jener Arbeitssektor, in dem Migrant_innen das meiste Geld verdienen können. Je nach Zweig der Sexindustrie bietet der Job zudem Flexibilität, beispielsweise in Bezug auf Arbeitszeiten, Arbeitstage oder Urlaub. Auch ist es möglich, Sexarbeit als Nebenjob auszuüben, da es keine vertragliche Bindung gibt und meist keine Ausbildung erforderlich ist. [9] Darüber hinaus stellt die Arbeit eine Möglichkeit dar, Kontakte zu knüpfen, Fremdsprachen zu üben, zu reisen etc.
(Neo-)Abolitionistische feministische Positionen
Sexarbeit ist also einerseits von Prozessen globaler Entgrenzung und zugleich von neuen Grenzziehungen im Rahmen internationaler Mobilität geprägt. An dieser Stelle sollen nur die zwei zentralen Positionen der feministischen Debatte über Prostitution skizziert werden: der neo-abolitionistische Ansatz, der die Abschaffung von Prostitution zum Ziel hat, und der Legalisierungsansatz, der sich für die Rechte der Sexarbeiter_innen einsetzt.
Der neo-abolitionistische Ansatz, wie er von der Coalition Against Trafficking in Women (CATW) vertreten wird, definiert Sexarbeit als sexuelle Ausbeutung, als Akt der Unterdrückung aller Frauen und als Menschenrechtsverletzung: Es handle sich hierbei um bezahlte Vergewaltigung und einen pathologischen Auswuchs des Patriarchats. Die Frauen in der Sexarbeit handelten demnach nicht freiwillig, deswegen müsse Prostitution [10] abgeschafft werden.
In dem neo-abolitionistischen Ansatz wird jede Form von Migration zum Zweck der Prostitution mit Frauenhandel gleichgesetzt, damit werden den Migrant_innen eigene Handlungsmöglichkeiten per se abgesprochen. [11] Die Wahrnehmung von Migrant_innen in der Sexarbeit sowie ihre Darstellung wird zudem oftmals von einer rassistischen und kolonialistischen Perspektive – die sich meistens paternalistisch ausdrückt – bestimmt. Durch die Gleichsetzung von Sexarbeit und Frauenhandel werden Migrant_innen generell als naive Opfer konstruiert und darüber hinaus häufig auf eine sehr sensationalistische Art medial präsentiert. Die Ursache für die Ausbeutbarkeit der Frauen aus sogenannten "Entwicklungsländern" liegt laut manchen Theoretiker_innen im traditionellen Unterdrückungsstatus der Frauen, aufgrund dessen sie nie gelernt haben, sich zu wehren. Dass die Migration in die Sexarbeit selbst eine Strategie sein kann, um sich zu wehren, sie eine Möglichkeit sein kann, den patriarchalen Strukturen im Herkunftsland zu entkommen und ökonomische Unabhängigkeit zu erreichen, wird somit völlig ausgeblendet.
Die Initiative "Recht auf Straße" in Hamburg, die sich gegen die Säuberung des Straßenstrichs einsetzt, problematisiert den neo-abolitionistischen Ansatz im Bezug auf Freiwilligkeit folgendermaßen: "Wer die Frage nach der Freiwilligkeit von Sexarbeit aufwirft, muss sich aber auch der Frage nach einer Freiheit der Wahl bezüglich der Lohnarbeit im kapitalistischen System widmen. Jenseits der vermeintlich "freien Berufswahl" steht Lohnarbeit an sich überhaupt nicht zur Diskussion. Es entsteht ein gesellschaftlicher Zwang, welcher Lebensentwürfe jenseits von Lohnarbeit unmöglich macht. Entscheiden sich nun Menschen für Sexarbeit als Erwerbstätigkeit – analog zum Zwang zur Lohnarbeit –, wird trotzdem ihre subjektive Handlungsfähigkeit als Lohnarbeiter_innen in Frage gestellt und ihnen als Sexarbeiter_innen per Definition die Rolle des Opfers zugeschrieben. Dies entzieht den Betroffenen die Macht über die eigene Definition und reproduziert das zugeschriebene passive Rollenbild."
Feministische Stimmen für Legalisierung
Der Legalisierungsansatz, der auf internationaler Ebene durch die Global Alliance Against Trafficking in Women (GAATW) repräsentiert wird, unterscheidet zwischen Frauenhandel und Zwangsprostitution auf der einen und freiwilliger Sexarbeit auf der anderen Seite und betont hier die Selbstbestimmung der Frauen in der Sexarbeit. Die Tätigkeit wird als eine Dienstleistung gesehen, die gleiche Anerkennung und Schutz verdient wie jeder andere Beruf und die grundsätzlich freiwillig aufgenommen werden kann. Es wird erkannt, dass die Unterwerfung unter die vielfältigen prekarisierenden Zwangsverhältnisse zugleich erweiterte Handlungsspielräume bieten kann. Bereits das Aufbrechen, die Suche nach verbesserten ökonomischen Verhältnissen und nach Auswegen aus patriarchalen Strukturen sowie der Schritt in die Lohnarbeit im Ausland können eine erste Erfahrung von Selbstermächtigung sein. In diesem Sinne liegt der Fokus auf der Schaffung von besseren, geregelten Arbeitsbedingungen für Sexarbeiter_innen durch die gesellschaftliche und legale Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit.
Sexarbeit wird dabei zwar als ein stigmatisierter und diskriminierter Arbeitsbereich erkannt, jedoch werden in diesem Kontext vor allem staatliche, rechtliche und gesellschaftliche Strukturen in den Blick genommen, die diese Stigmatisierung und Diskriminierung fördern. Als zentrales Problem werden fehlende Rechte von Sexarbeiter_innen thematisiert, die u.a. vor Ausbeutung und Gewalt schützen können und für eine Entdiskriminierung, Enttabuisierung und Entstigmatisierung von Bedeutung wären. Ausbeutung und Gewalt werden dabei von Sexarbeit entkoppelt, da diese der Sexarbeit nicht per se inhärent sind, sondern durch strukturelle, rechtliche und damit auch staatliche Rahmenbedingungen begünstigt werden.
Vor allem Migrant_innen-Selbstorganisationen, so auch maiz, weisen zudem auf die restriktiven Migrationspolitiken hin, die für migrantische Sexarbeiter_innen eine oftmals verstärkt prekäre Position bedeuten. [12] Sexarbeit wird in den breiteren Kontext von Frauenarbeitsmigration gestellt und als eine stark ethnisierte und feminisierte Tätigkeit gesehen, die jedoch eine Strategie der Selbstermächtigung sein und ökonomische Unabhängigkeit bedeuten kann. Es sind vor allem diese Selbstorganisationen, von Migrant_innen, Sexarbeiter_innen, von Marginalisierten, die darüber hinaus eine Organisierung "von unten" forcieren und, im Bewusstsein der Problematiken der Repräsentation, Selbstvertretung fordern.
Sprechen und gehört werden – "Nothing about us without us!"
"Sex workers are infuriated by criticism of their industry, whether by well-meaning social activists such as the Salvation Army, by negligent public opinion-makers or, especially, by feminists. The job is challenging enough, they say, without being constantly told that they are wrong to do it and must be damaged. As blogger Hexy puts it, ‘I’m fucking sick of sex workers being considered the least important voices in discussions about sex workers" (Holden 2011). Statt die "voices" der Sexarbeiter_innen wahrzunehmen wird in der Regel durch das Bild der "unmündige_n Sexarbeiter_in", das in Verschränkung mit rassistischen und kolonialen Blicken gezeichnet wird, für die Konstruktion bzw. für die Aufrechterhaltung einer dichotomen Perspektive im Rahmen des Opfer-Täter_in-Diskurses beigetragen. Entweder werden Sexarbeiter_innen als Opfer patriarchaler Strukturen gesehen (wie im neo-abolitionistischen Ansatz) oder als Täter_innen im Bezug auf fremdenrechtliche Bestimmungen.
Der gewaltvolle Moment in dieser Konstruktion hat allerdings Konsequenzen und Folgen, die Sexarbeiter_innen nicht nur auf diskursiver Ebene betreffen. So heben Calum Bennachie und Jan Marie in ihrem Artikel "Their Words Are Killing Us. The Impact of Violent Language of Anti-Sex Work Groups" die Auswirkungen der gewalttätigen Sprache der Abolitionist_innen auf die Lebensbedingungen der Sexarbeiter_innen hervor. Demnach führen solche Konstruktionen zu einer Internalisierung seitens der Sexarbeiter_innen, die damit konfrontiert werden, und in weiterer Folge zu einem niedrigeren Selbstbewusstsein. Sie reduzieren die Wahrscheinlichkeit, dass erlebte Gewalt angezeigt wird. Darüber hinaus würden abolitionistische Positionierungen im öffentlichen Raum den Hass gegenüber Sexarbeiter_innen und Personen, die sie unterstützen, hervorrufen.
Die Vermischung von Sexarbeit und Zwangsprostitution führt dazu, dass Subventionen für Angebote für Personen in der Sexarbeit, die sich an einer Anerkennungsperspektive orientieren, zurückgenommen werden, was direkte Auswirkungen auf die Stigmatisierung und Diskriminierung von Sexarbeiter_innen, aber auch auf ihren Kampf für Rechte hat. Durch die abolitionistische Perspektive werden auch männliche, homosexuelle und transgender Sexarbeiter_innen unsichtbar gemacht, da sie sich ausschließlich auf Frauen als Opfer des Patriarchats bezieht.
Und wo bleibt der Sex?
Schon 1917 behauptete die Anarchistin und Rebellin Emma Goldmann, dass es für die Moralisten bei der Prostitution nicht so sehr um den Fakt ginge, dass Frauen ihre Körper verkaufen [13], sondern darum, dass sie es außerhalb der Ehe tun. [14]
Historisch gesehen erfüllen Sexarbeiter_innen eine Funktion des "Othering". So stellen sie den Gegensatz zu variablen weißen sexuellen Identitäten dar und ermöglichen überhaupt erst ihre Konstruktion. Demnach kann die Heterosexualität als soziales System nur als Differenz existieren, die soziale Konstruktion der "guten Ehefrau" wird erst durch die Existenz der "Hure" ermöglicht. In diesem dichotomen Denken ist vermutlich auch die Kritik an der Ehe, formuliert von radikalen lesbischen Positionen, zu lesen. Demnach, so Linda Singer, können diese zwei Institutionen, Ehe und Sexarbeit, dahingehend verglichen werden, dass beide ein Tausch von Sex gegen Zahlungsmittel seien, die materielle Güter, Anerkennung, soziale Legitimität, Romantik oder Liebe darstellen. "Im Gegensatz zur Situation der verheirateten Frau werden ihre Dienste [der Sexarbeiter_innen, Anm. Verf.] in einer verkehrsfähigen Währung beglichen, statt in mehr mystischen Formen wie Liebe und Zuneigung. Die Transaktion ist daher offener, demystifizierter und ehrlicher" (Singer 2011).
In der in Europa und den USA hegemonialen Sichtweise werden Sexualität und Geld als zwei Gegensätze gedacht, die keineswegs vermischt werden dürfen – eine Trennung, wie sie bis heute im feministischen Kontext intensiv diskutiert wird: die Aufteilung zwischen privatem und öffentlichem Raum.
Widerstandsperspektiven
Das Internationale Komitee der Rechte von SexabeiterInnen in Europa (ICRSE) schlägt vor, einen Prozess in Gang zu setzen, der die Rechte der Sexarbeiter_innenbewegung in Europa stärkt. Organisationen, die sich für die Rechte von Sexarbeiter_innen einsetzen, haben sich zudem entschieden, sich mit neuen Verbündeten in Menschenrechts-, Arbeits- und Migrationsrechtsorganisationen zusammenzutun.
In Oberösterreich ist im September 2012 nach langjährigen Diskussionen das "Sexualdienstleistungsgesetz" (SDLG) in Kraft getreten, das das bisherige dafür zuständige Polizeistrafgesetz ablöst. Sind wirklich Veränderungen (sprich Verbesserungen) zu erwarten? Wenn ja, für wen? Die Vorstellung von unmündigen Sexarbeiter_innen scheint auch diese Diskussion zu dominieren, denn Sexarbeiter_innen werden generell nicht in die Entstehung von Gesetzen einbezogen, ihre Lebensrealitäten werden ignoriert und verkannt. Nach dem OÖ SDLG bleibt es Sexarbeiter_innen verwehrt, der selbstbestimmtesten Art der Berufsausübung nachzugehen und über das gesamte Einkommen aus dieser Tätigkeit zu verfügen, indem Sexarbeit in der eigenen Wohnung sowie der Straßenstrich weiter verboten bleiben. Somit werden Sexarbeiter_innen einerseits weiter in die Illegalität gedrängt, andererseits werden erwachsene Menschen durch die auferlegten Kontrollpflichten der Lokalbetreiber_innen paternalistisch entmündigt.
Die Probleme der Diskriminierung, Stigmatisierung und Kriminalisierung gelten nicht ausschließlich für dieses Beschäftigungsfeld, sie können jedoch mithilfe von (Selbst-)Organisationen, die sich für die Rechte von Migrant_innen im Allgemeinen und von Sexarbeiter_innen im Besonderen sowie für ihre Entkriminalisierung auf rechtlicher Ebene einsetzen, bekämpft werden.
maiz setzt sich seit Anfang der 1990er-Jahre für die Anerkennung von Sexarbeit als Erwerbsarbeit ein und trägt somit zu diesem Kampf bei. Es geht darum, in diesem "Spannungsfeld zwischen Stigmatisierung und Selbstermächtigung" (Bastian /Billerbeck 2010) das subversive Potenzial und Widerstandsperspektiven durch Theorie und Praxis auszuloten. Zentral dabei ist die Strategie, "Raum für eine kollektive Organisation von Migrant_innen in der Sexarbeit sowie verschiedene Migrant_innengruppen zu schaffen und deren Interessen und Forderungen zu bündeln, indem die Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen prekären Arbeits- und Lebensbedingungen ins Zentrum gerückt und gemeinsam nach außen getragen werden. Denn, wir glauben nicht nur an Veränderung, wir arbeiten daran!" (Caixeta 2010).
Oder, wie es das Internationale Komitee für die Rechte der Sexarbeiter_innen in Europa formuliert: "Wir fordern, dass unsere Stimmen wahrgenommen und respektiert werden, dass man uns zuhört [...] Wir erkennen die Stigmatisirung als das verbindende Element zwischen allen SexarbeiterInnen, und das macht uns zu einer Interessensgemeinschaft – trotz der enormen Vielfalt unserer Lebens- und Arbeitsrealitäten. Wir haben uns zusammengerauft, um der Stigmatisierung und dem daraus resultierenden Unrecht in Konfrontation und Herausforderung zu begegnen." (ICRSE 2005)
Dieser Beitrag ist die gekürzte und redigierte Fassung des Artikels "For A Change of Perspective. Oder: Wie schaut Sexarbeit aus, wenn die Perspektive von Sexarbeiter_innen miteinbezogen wird?", erschienen in: Elisabeth Greif (Hg.): SexWork(s). Verbieten – Erlauben – Schützen? Linz: Reihe Linzer Schriften zur Frauenforschung, Universitätsverlag Rudolf Trauner 2012.
Fußnoten
[1] Dieses und andere Zitate von Sexarbeiter_innen in diesem Text stammen großteils aus insgesamt 25 Interviews, die maiz im Rahmen eines internationalen Forschungsprojektes zwischen 2010 und 2012 durchgeführt hat. Teilweise stammen die Aussagen von Notizen, die uns zur Verfügung gestellt wurden.
[2] Es wird ein Bild von Sexarbeiter_innen konstruiert, die unfähig sind, selbstbestimmt zu arbeiten. Zudem werden sie pathologisiert, indem behauptet wird, dass die meisten ohne Drogenkonsum nicht arbeiten könnten und in ihrer Kindheit sexuell missbraucht wurden. So zum Beispiel Alice Schwarzer über ihr Engagement im Kampf gegen Sexarbeit bzw. Prostitution, sich fragwürdiger Ziffern bzw. Einschätzungen bedienend: "Ich tue es mir an, weil achtzig bis neunzig Prozent der Mädchen und Frauen in der Prostitution in Deutschland Ausländerinnen sind, meist aus den ärmsten Ländern, und häufig vollkommen recht- und sprachlos. Weil nur drei bis fünf Prozent der Prostituierten wirklich auf eigene Kosten ohne Zuhälter arbeiten. Weil drei von vier Prostituierten nur unter Drogen bzw. Alkohol die Freier bedienen können. Weil zwei von drei als Kind sexuell missbraucht wurden. Weil bis zu 66 Prozent traumatisiert sind und mit denselben Folgen zu kämpfen haben wie Folteropfer. Weil die meisten im Alter Hartz-IV-Empfängerinnen sind. Weil neun von zehn aussteigen würden – wenn sie könnten."
[3] Migrant_innen sind Frauen und vieles mehr ... Diese Schreibform weist darauf hin, dass Geschlechteridentitäten vielseitig und jenseits einer dichotomen Geschlechterordnung zu verorten sind. Die theoretische Diskussion der Queer-Theorie scheint die Kategorie "Frau" obsolet zu machen, obwohl Frauen als politische Subjekte weiterhin eine hetero-patriarchale Unterdrückung auf vielen verschiedenen Ebenen erleben. Die hier verwendete Definition als "Frau" bzw. "Migrantin" ist eine politische Strategie im Sinne des "strategischen Essenzialismus" (nach Gayatri C. Spivak) und resultiert aus dieser Position der Unterdrückung. In diesem Text wird folglich sowohl von Migrantinnen als auch von Migrant_innen zu lesen sein: Migrantinnen verweist auf die hetero-patriarchale Unterdrückung und Migrant_innen auf vielseitige Geschlechteridentitäten.
[4] Häufig verbunden mit dem Ziel öffentliche Subventionen zu bekommen.
[5] Die Begriffe "arm" und "reich" beziehen sich auf die durchschnittlichen Einkommen und werden hier bewusst in hegemonialem, neoliberalen Sinne und im Bewusstsein um das Unzureichende und auch das Problematische in dieser Begriffswahl verwendet.
[6] Wie diverse Studien v.a. von Feminist_innen nachweisen konnten, siehe zum Beispiel Caixeta, Gutierrez Rodríguez u.a. 2004, Lutz 2009, Le Breton 2011.
[7] Zu diesem Ergebnis kommt die Untersuchung von TAMPEP (2009).
[8] Bundesgesetz BGBl 2005/157, mit dem das Fremdenpolizeigesetz 2005, das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz und das Ausländerbeschäftigungsgesetz geändert wurden.
[9] Hierzu gilt es anzumerken, dass einerseits Anerkennungsprozesse von Qualifikationen von Migrant_innen in Österreich enorme Anstrengungen verlangen, andererseits soll die Frage aufgeworfen werden, welches Wissen überhaupt anerkannt und nachgefragt wird.
[10] Hier wird die Formulierung der Abolitionist_innen verwendet, maiz plädiert für die Bezeichnung "Sexarbeit", vor allem da es eine Bezeichnung ist, die von Sexarbeiter_innen geschaffen wurde, die die Nähe der Tätigkeit zu anderen Lohnarbeitsbereichen ausdrückt und sich vom moralisch behafteten Begriff der "Prostitution" distanziert.
[11] www.catwinternational.org
[13] Wie etwa mit der Presseaussendung zum 2. Juni, dem Internationalen Hurentag, die maiz seit Jahren mit einschlägigen Organisationen in Österreich (LEFÖ, SXA, sexworker.at, PiA) macht, siehe: http://maiz.at/maiz-sex-work/fachliche-beitraege
[14] Es gilt allerdings auch, diese Formulierung zu problematisieren (wie es in der Regel Sexarbeiter_innen auch tun), da es sich um einen Dienstleistungsangebot handelt und nicht um einen Verkauf des Körpers.
[15] Diese Aussage wurde mehrfach zitiert, beispielsweise unter http://www.direkteaktion.org/203/pro-contra-prostitution.
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