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Zuschreiben oder ernsthaftes Bekämpfen

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von Gamze Ongan

Seit 2005 vergeht kein Tag, an dem Peregrina nicht von den Medien befragt, von den öffentlichen Einrichtungen konsultiert, für Studien interviewt und von der Politik zur Mitarbeit eingeladen wird. Das Objekt der Begierde ist allerdings nicht der Verein und seine Zielsetzungen, sondern die Zwangsehe. Aber wie ist es dazu gekommen, dass dieses Thema den öffentlichen Diskurs über Zuwanderung auf einmal so massiv dominiert? Und warum spüren wir von Peregrina so großes Unbehagen?

Der Verein Peregrina wurde im Jahr 1984 unter dem Namen „Verein solidarischer Frauen aus der Türkei und aus Österreich“ gegründet. In den 26 Jahren ihres Bestehens entwickelte sich die Organisation zu einem Bildungs-, Beratungs- und Therapiezentrum für Migrantinnen jeglicher Herkunft. Die Zielsetzung des Vereins besteht darin, in erster Linie Migrantinnen, aber auch ihre Familien bei der Bewältigung ihrer rechtlichen, psychischen und sprachlichen Lebenssituation in Österreich zu unterstützen.
Die Situation von Migrantinnen ist von ganz speziellen Erfahrungen gekennzeichnet. Diese sind unter anderem Trauer um Verlorenes, Verständigungsprobleme, Rassismuserfahrungen, Ausgrenzung, Assimilationsdruck sowie Recht- und Orientierungslosigkeit. Insgesamt sind Zuwanderinnen vor allem durch die restriktiven und diskriminierenden rechtlichen Rahmenbedingungen starken psychischen Belastungen ausgesetzt, die ihnen wiederum erschweren, sich in sozialen und rechtlichen Angelegenheiten zurecht zu finden. Der ganzheitliche Beratungsansatz von Peregrina zielt darauf ab, den Handlungsspielraum der Frauen zu erweitern und Abhängigkeiten zu verhindern. Zentral ist hierbei, dass jede Frau eigenständig und selbstverantwortlich bestimmt, in welche Richtung die Beratung gehen soll.

Nach unseren Statistiken über die letzten zehn Jahre bewegt sich der Anteil unserer Klientinnen, die familiäre Gewalt erfahren, zwischen fünf und sieben Prozent. Die Kategorie "finanzielle Notsituationen" bzw. "Armut" hingegen ist in diesem Zeitraum von sechs auf 22 Prozent gestiegen. Die anderen großen Themen, mit denen Migrantinnen Peregrina aufsuchen, betreffen das Aufenthaltsrecht, insbesondere die Familienzusammenführung, den Zugang zum Arbeitsmarkt, die Dequalifizierung und prekäre Arbeitsbedingungen sowie im Zusammenhang damit Ausbildungs-, Fortbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Diese konkreten Fakten scheinen aber die Öffentlichkeit nicht oder sehr selten zu interessieren, während die öffentliche Debatte um junge Frauen und die Zwangsverheiratung immer lauter wird. Alle anderen weniger spektakulären, aber genauso existentiellen Probleme, mit denen eine große Gruppe von Mädchen und jungen Frauen konfrontiert ist, werden hingegen ausgeblendet und negiert.

Das größte öffentliche Interesse gilt in der Regel jenen Migrantinnen, die erfolgreich als Opfer ihrer mitgebrachten "Kultur" dargestellt werden können. Hinweise auf die durch die rechtlichen, sozialen und gesellschaftlichen Voraussetzungen der Einwanderungsgesellschaft verursachte prekäre Situation der Migrantinnen finden weniger Beachtung.

Die unerwartete Karriere der Zwangsehe

Das Symbol für die "unterdrückte Migrantin" war jahrelang das Kopftuch. Es erfüllte seine Funktion, indem es gut sichtbar die unsichtbare strukturelle Gewalt verschleierte, die das Leben der Migrantinnen in Österreich bestimmt. Die Debatte um die Zwangsverheiratung hat derzeit eine ähnliche Funktion. Österreich steckt inmitten eines Diskurses, in dem die "Kultur" der ZuwanderInnen für alle Bereiche herhalten muss, die im gesellschaftlichen Zusammenleben nicht funktionieren. So ist der Aufstieg der Zwangsheirat auf der Rangordnung der so genannten "traditionsbedingten Gewalttaten" beispiellos. Sie ließ in kürzester Zeit nicht nur die Klassiker wie "Kopftuchzwang" und "Frauen dürfen nicht Deutsch lernen" hinter sich, sondern überholte auch die zeitgleich "entdeckten" Phänomene wie Genitalverstümmelung und Ehrenmorde.

Die im Jahr 2005 vom Bundesministerium für Gesundheit und Frauen in Zusammenarbeit mit den Ministerinnen für Äußeres, Inneres, Justiz, Bildung und Generationen vorbereitete Broschüre Maßnahmen gegen traditionsbedingte Gewalt bezeichnet Zwangsheirat, Genitalverstümmelung und Ehrenmorde alternierend als traditionelle, kulturelle und rituelle Gewaltpraktiken. Im Treffen der EU-GleichstellungsministerInnen unter österreichischem Vorsitz im Jänner 2006 in Brüssel wurde das Network against Harmful Traditions – NAHT ins Leben gerufen. Seit September 2006 scheint der Diskurs zum Erliegen gekommen zu sein. Von Neuigkeiten wurde seither nichts mehr berichtet. Geblieben ist der öffentlich geführte Sensationsdiskurs.

Zur Untermauerung der drohenden Gefahr aus den "Parallelgesellschaften" wird gerne auf jene deutsch-türkischen Autorinnen zurückgegriffen, die ausgehend von ihren eigenen Biographien die gesamte islamische Gesellschaft anklagen. Die Soziologin Necla Kelek spielt in diesem Zusammenhang zweifelsohne eine bedeutende Rolle. Ihre beiden, auf Grund ihrer Aussagekraft stark kritisierten Bücher "Die fremde Braut" und "Die verlorenen Söhne" werden zu Bestsellern, nicht unähnlich wie der Roman "Nicht ohne meine Tochter" von Betty Mahmooudy, das vor gut 15 Jahren vor allem im deutschsprachigen Raum zum Bestseller wurde und dessen Verfilmung zum Kassenschlager avancierte.

Die Herausforderung, mit der wir uns konfrontiert sehen, ist, auf jede Form von Gewalt, auch auf die Zwangsverheiratungen, aufmerksam zu machen, ohne für politische Zwecke mit rassistischen Implikationen instrumentalisiert zu werden. So wollen wir etwa auch aufzeigen, dass Polizisten jahrelang bei häuslicher Gewalt in Migrantenfamilien unter dem Vorwand, "Pack schlägt sich, Pack verträgt sich" nicht eingeschritten sind.

Wir möchten aber ebenfalls Gehör finden, wenn wir auf die mindestens genauso wichtigen Probleme der Migrantinnen hinweisen, welche mit ihrer Herkunft, ihren Traditionen oder ihren Kulturen beim besten Willen nichts zu tun haben: Diese Probleme sind für ihren Alltag und vor allem hinsichtlich ihrer Zukunft mindestens genauso bedeutend wie die Zwangsverheiratung. Denken wir an die Bildungschancen, an Rechtsunsicherheit, Armut und vieles andere mehr. Wie kommt es, dass in Bezug auf die skandalisierten Geschlechterbeziehungen zumindest verbal alle bereit sind, zu einer Veränderung beizutragen, während in Bezug auf Zugang zu Arbeitsmarkt, Bildung und Aufstiegschancen das Interesse an Gleichberechtigung gleich wieder schwindet?

Realitäten erkennen

Die Behauptung, achtzig Prozent der in Österreich lebenden Migrantinnen würden zwangsverheiratet [1], ist nicht haltbar. Weder im von der Stadt Wien in Auftrag gegebenen Studie zu Zwangsverheiratung und arrangierte Ehen in Wien [2] noch im von der Bundesministerin für Frauen veröffentlichten Migrantinnenbericht 2007 werden diese medienwirksam lancierten Zahlen zur Häufigkeit der Zwangsverheiratung bestätigt.

Die Darstellung der Zwangsverheiratung als Gebot und Praktik im Islam oder in einer "rückständigen" Kultur/Tradition, führt zur Diffamierung einer großen Gruppe von MigrantInnen und führt erst recht zur Ausgrenzung dieser Familien, statt ihre Integration zu unterstützen. Gefragt sind Maßnahmen, welche die betroffenen Frauen schützen, ohne neue Argumente für den Rassismus und die Islamophobie zu liefern.

In der Kronenzeitung vom 2. September 2007 lautet eine Schlagzeile: "Vizekanzler Molterer über Zwangsverheiratung und Gewalt gegen Frauen: 'Sind kein islamisches Land und müssen deshalb wachsam sein’". Im Artikel selbst erfahren wir, dass Menschenrechte nicht durch Zwangsheirat verletzt werden dürfen, weil wir kein islamisches Land sind.
Wie umstritten diese Frage in Ländern ist, in denen der Islam die dominante Religion darstellt, kann man anhand der gesetzlichen Situation, der medialen Diskussion und den zivilgesellschaftlichen Maßnahmen bezüglich der Zwangsverheiratung in der Türkei verdeutlichen. Das Beispiel Türkei ist deshalb besonders geeignet, weil in Österreich die Zwangsverheiratung vor allem mit Familien aus der Türkei identifiziert wird (trotz aller Beteuerungen der Bundesministerinnen, dass weder der Islam noch eine bestimmte Nation mit der Praxis von Zwangsverheiratung verantwortlich gemacht werden kann [3].

Türkische Maßnahmen als Vorbild?

Das Bürgerliche Gesetzbuch der Türkei [4] legt das Mindestheiratsalter mit dem vollendeten 17. Lebensjahr fest. In Ausnahmefällen kann per Gerichtsbeschluss mit 16 Jahren geheiratet werden. Die Artikel 149 bis 152 des türkischen bürgerlichen Gesetzbuchs befassen sich explizit mit Zwangsheirat. Gemäß diesen Artikeln darf niemand zur Ehe gezwungen werden. Im Fall eines Zwangs zur Verehelichung können die betroffenen Personen, aber auch Dritte die Staatsanwaltschaft einschalten. Wenn die zwangsverheiratete Person zum Beischlaf gezwungen wird, kann sie sich ebenso an die Staatsanwaltschaft wenden und Anzeige erstatten. Innerhalb von fünf Jahren ab der Eheschließung kann auf Nichtigkeitserklärung der Ehe geklagt werden, wenn sie, wie in den Artikeln 149, 150 und 151 festgehalten, durch yanılma (Irrtum), aldatma (Täuschung) oder korkutma (Drohung) zustande gekommen ist.

Sexueller Mißbrauch von Minderjährigen (Jugendliche bis zum 15. Lebensjahr) ist nach den strafrechtlichen Bestimmungen in der Türkei mit bis zu acht Jahren Freiheitsentzug bedroht. Eingeführt wurde diese Strafdrohung auf Betreiben der türkischen Frauenverbände als ein Mittel im Kampf gegen die Zwangsverheiratung. In der Tat wird auch im Zusammenhang mit Zwangsheirat von diesem Artikel des Strafgesetzbuches Gebrauch gemacht. [5]

In einem aktuellen Erlass des türkischen Justizministeriums an alle Staatsanwälte zu Töre/Namus ve Şiddet (Tradition/Ehre und Gewalt) vom Februar 2007 werden diese aufgefordert, dringend sämtliche Schutzmaßnahmen für Frauen und Kinder zu treffen und sich streng an die Geheimhaltungsvorschriften zu halten. [6] Hierbei geht es um die Verhinderung von Gewalt gegen Frauen und von im Namen der Tradition und Ehre begangenen Morden. Neben den Schutzmaßnahmen wird im Erlass auch vorgeschrieben, für die Sicherheitskräfte interne Fortbildungen zu organisieren sowie Maßnahmen zur Sensibilisierung der Bevölkerung für Gewalt und zur Veränderung des gängigen Verständnisses von Tradition und Ehre zu treffen.

Türkische Frauenorganisationen verfolgen die europäische Debatte über die Zwangsverheiratung mit großer Skepsis. Sie ordnen vor allem der Diskussion um die "Importbräute" eine Alibifunktion für die Verhinderung der Zuwanderung zu. Gleichzeitig legen sie Wert darauf klarzustellen, dass Zwangsverheiratung und Ehrenmord erst durch die Initiative der türkischen Delegation als staatlich zu bekämpfende Gewalt gegen Frauen ins Schlussdokument der UNO-Sonderkonferenz "Women 2000 – Beijing + 5: Gender Equality, Development and Peace for the 21st Century" aufgenommen wurde.

Ein anderer Kritikpunkt der türkischen Frauen-NGOs an der europäischen Diskussion betrifft die hiesige Zuschreibung der Praktiken Zwangsverheiratung, Ehrenmorde und FGM zur islamischen Religion. Die NGO Kadinin Insan Haklari-Yeni Cözümler (WWHR, Women for women's human rights) macht in diesem Zusammenhang auf die Gefahr aufmerksam, duch diese Gleichsetzung ausgerechnet die Aufklärungsarbeit der Frauenorganisationen in islamischen Ländern zunichte zu machen. Ein sehr wichtiges Mittel ihres Kampfes gegen diese Praktiken stellt nämlich die Aufklärungsarbeit dar, dass weder Zwangsverheiratung noch Ehrenmord Gebote des Islams sind. [7]

Probleme identifizieren

Der Anteil an Frauen, die von Zwangsheirat bedroht wurden bzw. davon betroffen sind, wurde von Peregrina bis jetzt in den jährlichen Vereinsstatistiken nicht erhoben. Diese Fälle werden zusammen mit psychischer und körperlicher Gewalt in der Ehe in der Kategorie familiäre Gewalt zusammengefasst. Der Anteil an Beratung zu familiärer Gewalt ist in den letzten zehn Jahren mit durchschnittlich sechs Prozent relativ konstant geblieben. Ab dem Jahr 2008 werden wir auf Verlangen der Wiener Magistratsabteilung MA 17 – Diversitäts- und Integrationsangelegenheitenerstmals die Anfragen zu drohender und vollzogener Zwangsverheiratung erheben.

Anruferinnen, die sich aus Sorge um ein Mädchen an uns wenden, bitten wir um einen direkten Kontakt zum Mädchen. Es soll geklärt werden, ob lediglich eine Vermutung der anrufenden Person vorliegt oder tatsächlich eine drohende Zwangsverheiratung im Spiel ist. So wichtig die Sensibilisierung in diesem Thema ist, birgt sie nämlich auch die Gefahr in sich, hinter jeder Auseinandersetzung zwischen Kindern und Eltern, die "bei uns" (der Mehrheitsgesellschaft) unter Generationskonflikten eingeordnet werden, "bei denen" (den MigrantInnen) eine Zwangsverheiratung vermutet wird. Für den Fall, dass das betroffene Mädchen eine Person aus der eigenen Community, wie die muttersprachliche Beraterin in Peregrina eine ist, nicht kontaktieren möchte, wird in diesen Fällen der/die Anruferin über rechtliche Bestimmungen bezüglich der Zwangsverheiratung und den Schutzmöglichkeiten in Österreich informiert.

Ein sehr großes Problem, das nicht nur die Zwangsverheiratung betrifft, stellt die aufenthaltsrechtliche Unsicherheit dar. Auf Grund der derzeit gültigen fremdenrechtlichen Bestimmungen können wir den Mädchen in der Beratung oft nicht die notwendige absolute Sicherheit gewähren, dass sie im Fall einer Loslösung von der Familie auch ihr Aufenthaltsrecht behalten werden.
Wenn das Mädchen als Drittstaatsangehörige über kein unbefristetes Aufenthaltsrecht verfügt, muss es bei der Verlängerung der Niederlassungsbewilligung den gesicherten Unterhalt nachweisen. Ist das Mädchen aber ökonomisch von den Eltern abhängig, was meistens der Fall ist, und die Eltern die Unterhaltszahlungen verweigern, wenn sie die Familie verlässt, kann das unter Umständen den Verlust der Niederlassungsbewilligung zur Folge haben. Das Mädchen kann in diesem Fall die Mittel für ihren Lebensunterhalt nicht mehr nachweisen – und kann abgeschoben werden.

Um die Zwangsverheiratung präventiv zu bekämpfen, muss für alle Betroffenen aufenthaltsrechtlich absolute Sicherheit gewährleistet werden. Ein auf den Einzelfall bezogener Gnadenakt in Form eines humanitären Aufenthaltstitels ist nicht ausreichend. Zudem müssen diese Mädchen und junge Frauen sozialrechtlich und ökonomisch abgesichert sein, so dass sie unabhängig von ihrer Aufenthaltsdauer und einem Aufenthaltstitel Zugang zu Sozialleistungen haben. Ebenso wird eine betreute Unterkunft bzw. ein Schutzraum benötigt.

Unbehagen benennen

Im öffentlichen Diskurs wird das Thema "Gewalt" im Migrationskontext vor allem auf "kulturell bedingte Faktoren" reduziert. Die wiederholte Reproduktion des Bildes der unterdrückten, zwangsverheirateten Migrantin suggeriert, dass Gewalt ein kulturelles Problem sei und somit nur mit Anpassung an westlich-demokratische Werte zu bekämpfen sei.

Es ist jedoch die auf den ersten Blick nicht sichtbare strukturelle Gewalt, die gerade im Migrationskontext in vielfältiger Form existiert und oftmals ein Ausbrechen aus familiären Gewaltsituationen für die Einzelne unmöglich macht. So bekommen Frauen, die im Rahmen der Familienzusammenführung nach Österreich kommen, keinen eigenen Aufenthaltstitel. Nach dem Fremdenrecht ist ihr Aufenthaltsstatus an den ihrer Ehemänner gebunden. Nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz kann diese Gruppe von Frauen bei Trennung oder Scheidung ihre Niederlassungsbewilligung verlieren.

Darüber hinaus ist ihnen durch das Ausländerbeschäftigungsgesetz der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt, so dass sie von ihren Ehemännern ökonomisch abhängig sind. Zahlreiche sozialrechtliche Bestimmungen schließen die MigrantInnen aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft von grundlegenden sozialstaatlichen Leistungen aus. Frauen müssen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse eingehen und in diesen bleiben, weil sie im Falle der Arbeitslosigkeit um ihr Aufenthaltsrecht fürchten müssen. Und im Endeffekt eröffnen die immer restriktiver werdende Einwanderungsbestimmungen nur noch die Möglichkeit einer (Zwangs-)Heirat oder eines illegalisierten Aufenthalts. Solche Migrationsformen, welche im Rahmen einer feminisierten Migration zunehmen, sind verbunden mit Ausbeutungsverhältnissen, Abhängigkeiten und münden schlussendlich auch im Frauenhandel.

Diese Formen struktureller Gewalt haben fatale Auswirkungen auf die Einzelne: Mit häuslicher Gewalt konfrontierte Migrantinnen harren deutlich öfter in erniedrigenden Beziehungen und Situationen aus als Herkunftsösterreicherinnen. Das relative Armutsrisiko ist nach Angaben des Migrantinnenbericht 2007 der Bundesministerin für Frauen unter Migrantinnen im Durchschnitt mehr als doppelt so hoch als unter der Restbevölkerung.
Wirksame Prävention im Bereich familiärer Gewalt kann erst greifen, wenn Betroffene rechtlich, sozial und gesellschaftlich ausreichend abgesichert sind. Für die wirkliche Bekämpfung von Gewalt müssen umfassende rechtliche Bedingungen geschaffen werden, so dass Frauen und Mädchen selbst bestimmt leben können, ohne sich von allen sozialen Zugehörigkeiten verabschieden zu müssen.


Gekürzte und redigierte Version aus: Birgit Sauer/Sabine Strsser (Hginnen): "Zwangsfreiheiten. Multikulturalität und Feminismus", Wien: Promedia 2009


Fußnoten:

[1] Vgl. Gül Ayşe Başarı vom Verein Orient Express in: Armutçu, Emel (2006): Viyananın zoraki gelinleri. In: Hürriyet, 29.06.2006

[2] MA 57-Frauenförderung und Koordinierung von Frauenangelegenheiten, Hg., (2006): Situationsbericht & Empfehlungskatalog. Zwangsverheiratung und arrangierte Ehen in Österreich mit besonderer Berücksichtigung Wiens. Wien

[3] Vgl.: Bundesministerium für Gesundheit und Frauen, Hg. (2005)

[4] Vgl.: "Türk Medeni Kanunu (2001)"

[5] Im April 2004 verurteilte ein Gericht der nordosttürkischen Provinzhauptstadt Trabzon den Ehemann eines zur Zeit der Eheschließung 14jährigen Mädchens wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen zu knapp sieben Jahren Haft. Siehe: "Çocuk yaşta evliliğe ağır ceza (2006) "

[6] "Savcılara Töre/Namus ve Şiddet Genelgesi (2007)"

[7] Vgl: "Sexuality and Human Rights in Muslim Societies"

Gamze Onganstudierte Theaterwissenschaften und war Mitautorin der Ausstellung "Gastarbajteri - 40 Jahre Arbeitsmigration". Sie arbeitet im Bildungs-, Beratungs- und Therapierzentrum Peregrina und ist Chefredakteurin von "STIMME - Zeitschrift der Initiative Minderheiten".