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Situierte Kritik

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von Stefanie Mayer

In der kritischen Reflexion von Weißsein sind für mich vor allem zwei Aspekte antirassistischer Theorie und Praxis wichtig: Erstens, dass Rassismus grundsätzlich als Problem der Rassist_innen zu analysieren ist und nicht als eines derjenigen, die diskriminiert werden. Zweitens, dass eine Beschäftigung mit gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen nicht von der Positionierung der Schreibenden in eben diesen Verhältnissen losgelöst werden kann. Ich selbst stehe in vielerlei Hinsicht auf der privilegierten Seite, was es mir unter anderem erlaubt, mir Zeit zu nehmen, um in einem akademischen Rahmen über Ethnisierung, Rassismus und Identitätskonstruktionen nachzudenken. Zu den wichtigsten Erkenntnissen dieser Auseinandersetzung gehört die Erkenntnis, dass so manche aktuellen Debatten in feministischen und antirassistischen Kontexten profitieren könnten, würden sie sich stärker mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinandersetzen – das gilt nicht zuletzt für Diskussionen über Critical Whiteness.

Widersprüchlicher Protest

Soweit mir bekannt ist, lässt sich die erste explizite Thematisierung von Weißsein in Österreich auf das Jahr 1994 datieren, als die in den USA forschende Soziologin Ruth Frankenberg bei einem Symposion der ARGE Wiener Ethnologinnen zum Thema "Weiße Frauen, Feminismus und die Herausforderung des Antirassismus" sprach. Dieses Symposium und der zwei Jahre später erschienene Sammelband [1] können hinsichtlich der prominenten Referentinnen/Autorinnen und der behandelten Themen (unter anderem der spezifische Rassismus gegen Roma sowie postkoloniale Machtverhältnisse) als Meilenstein der feministischen Auseinandersetzung mit rassistischen Herrschaftsverhältnissen in Österreich gelten.

Gleichzeitig lassen sich anhand der damals rund um die Veranstaltung aufbrechenden Konflikte einige bis heute relevante Problemstellungen aufzeigen: Eine Gruppe von fünf Frauen aus dem Umfeld der Frauenhetz protestierte mit weiß bzw. schwarz geschminkten Gesichtern gegen das akademische Format der Veranstaltung und die Hierarchisierung von "wissendem" Podium und "schweigend schluckendem" Publikum, die als Widerspruch zu den Inhalten verstanden wurde. Schon damals blieb die gewählte Protestform aufgrund ihrer an Praktiken des "Blackface" erinnernden Schwarz/Weiß-Symbolik nicht unwidersprochen – unangenehm bekannt erscheint aber auch die Abwehrreaktion der Proponentinnen des Protests, die sich darauf beriefen, "hauptsächlich von nicht-weißen Frauen" Zuspruch für ihre Aktion erhalten zu haben. [2]

Zwar ließ sich der Protest als Widerstand gegen die Schaffung und Bestätigung eines Machtverhältnisses entlang der Achse "Bildung" (ihrerseits eng mit Klasse, aber auch mit Ethnisierung/Rassisierung verschränkt) und gegen hierarchische Kommunikationsstrukturen lesen. Doch bediente sich dieser Widerstand einer rassistisch aufgeladenen Symbolik und bestätigte damit eben jenes Verhältnis von Privilegierung und Diskriminierung, dessen kritische Hinterfragung im Zentrum der angegriffenen akademischen Diskurse stand.

Verstrickt in rassistische Diskurse

Vergleichbare Problematiken von unterschiedlich ineinandergreifenden Herrschaftsverhältnissen lassen sich auch heute beobachten. Antirassistische Debatten in feministischen Zusammenhängen – und gerade jene, die sich auf Konzepte von Critical Whiteness beziehen – erfordern häufig Vertrautheit mit komplexen akademischen Ansätzen und dem entsprechenden Vokabular. Sie können damit selbst Herrschaftseffekte erzeugen und all jene, die nicht auf dem neuesten Stand der Theorieentwicklung sind, zum Schweigen bringen.

Dagegen lässt sich mit Recht einwenden, dass es alles andere als verkehrt ist, wenn rassistisch Privilegierte in antirassistischen Debatten mal still zuhören – paradoxerweise kann jedoch gerade die Aneignung von antirassistischem und Critical-Whiteness-Wissen hier gegenteilige Effekte erzeugen. Denn wer das "richtige" Sprechen beherrscht, erscheint als nicht-rassistisch und kann gerade deshalb munter drauflosschwadronieren. Wenn sich dann noch eine andere weiße Person – etwa durch die Verwendung rassistischer Ausdrücke (oder auch nur veralteter; siehe etwa die Diskussion um die Verwendung des Begriffs "Geflüchtete_r" anstatt "Flüchtling") – dafür anbietet, mit einem Maximum an moralischer Entrüstung zurechtgewiesen zu werden, verwandelt sich das kritische Denkwerkzeug in ein Mittel zur Sicherung eigener Machtansprüche.Illustration: Paula BullingIllustration: Paula Bulling
Daraus ist nun nicht zu schließen, dass wir die Kritik an rassistischer Sprache und unreflektierter weißer Normalität als bloßes Herrschaftsinstrument betrachten und ad acta legen sollten. Notwendig ist vielmehr eine Abkehr von moralischer Empörung zugunsten der Erkenntnis, dass die Verstrickung in rassistische Diskurse, Denkmuster und Strukturen auch vor Antirassist_innen nicht Halt macht. Wo sie sichtbar und hörbar wird, ist politische Kritik nötig – nicht aber die Herabwürdigung der einzelnen Sprechenden zum Zweck der Aufwertung des eigenen antirassistische(re)n Selbst.

Kritische Selbstpositionierung

Der Rückblick auf die Debatten um Rassismen in weißen feministischen Kontexten in den 1990er-Jahren – die schon damals vor allem den Interventionen der Migrantinnen- und Schwarzen Frauenbewegung zu verdanken waren – ist auch heute noch interessant; besonders in Bezug auf die umstrittene Frage, welche Bedeutung "Identität" für eine antirassistische Praxis besitzt. Es scheint weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein, dass feministische Aktivistinnen schon damals versuchten, das Verhältnis zwischen der eigenen gesellschaftlichen Positionierung und möglichen politischen Positionen zu reflektieren – nicht zuletzt in Form von Selbstpositionierungen, die politischen Statements vorangestellt wurden und die die bekannten gesellschaftlichen Herrschaftsachsen durchbuchstabierten ("Ich bin eine weiße, christlich sozialisierte, heterosexuelle Frau aus der Mittelschicht …").

Entgegen der eigentlichen Intention entwickelten sich diese Aufzählungen häufig zur folgenlosen Pflichtübung, weil sie ohne Einfluss auf das politische Denken blieben. Dagegen möchte ich ein konkreteres Verständnis von Positionierung vorschlagen, das nicht an scheinbar stabilen Identitäten ansetzt, sondern versucht, die Bedingungen des eigenen politischen Denkens und Handelns zu reflektieren. Weniger hochtrabend formuliert bedeutet das, sich zu fragen, welchen Einfluss die eigenen Lebensumstände und die Kontexte, in denen politisch gehandelt wird, auf Form und Inhalt dieser Politik haben.

Ohne Zweifel ist in einer rassistisch und sexistisch strukturierten Klassengesellschaft die Positionierung in Herrschaftsverhältnissen von Ethnisierung bzw. Rassifizierung, Geschlecht und Klasse (fast) immer relevant. Dennoch können in bestimmten Kontexten andere Fragen – etwa jene nach Kinderlosigkeit/Elternschaft, dem (nicht-)akademischen Background oder nach Erwerbsarbeit(slosigkeit) und Prekarisierung – einen höheren Stellenwert erhalten. Dabei geht es nicht um eine (potenziell endlose) Erweiterung der Liste aufzuzählender Eigenschaften, sondern darum, deren Bedeutung in der jeweiligen Situation zu hinterfragen.

Weder lassen sich individuelle politische Interessen unmittelbar aus sozialen Positionierungen ableiten, noch stellt Politik eine Sphäre abgehobener Ideale ohne Bezug zur eigenen Lebenssituation dar. Der Raum, der sich zwischen diesen beiden Sackgassen auftut, ist genau jener, in dem wir agieren, gemeinsam Ziele formulieren und Strategien entwickeln können.

Koalitionen unter Verschiedenen

Eine selbstreflexive Herangehensweise in dem hier skizzierten Sinn erscheint mir nicht zuletzt Voraussetzung für Bündnispolitiken und Koalitionen zwischen unterschiedlich positionierten Aktivist_innen zu sein. Eine interessante Denkmöglichkeit hat an dieser Stelle Anna Carastathis [3] (mit Bezug auf Kimberley Crenshaw, die bereits den Intersektionalitätsbegriff prägte) entwickelt: Ihr Verständnis von "Identität", als immer schon vielfältig, als eine Art Koalition unterschiedlicher Positionen innerhalb jeder/s Einzelnen, lässt den Gegensatz von Identitätspolitik und Dekonstruktion links liegen.

Auf einer solchen Basis sind unsere vielfältigen Identitäten immer schon Basis möglicher Koalitionen, in denen sie freilich nie aufgehen können. Jene Bruchstücke, die uns zu Ähnlichen machen, sind in einem solchen Verständnis Ausgangspunkt für die Entwicklung gemeinsamer Kämpfe, in denen auch unsere Verschiedenheiten Platz finden können.



Fußnoten

[1] Brigitte Fuchs/Gabriele Habinger (Hg.innen): Rassismen & Feminismen. Differenzen, Machtverhältnisse und Solidarität zwischen Frauen. Promedia 1994.

[2] Zitiert nach an.schläge 12/1994–1/1995. S. 12–13.

[3] Anna Carastathis: Identity Categories as Potential Coalitions. In: Signs, 38, 2013. S. 941–965.

Stefanie Mayerlohnarbeitet als Politikwissenschaftlerin, schreibt an ihrer Dissertation und bewegt sich in unterschiedlichen autonomen und (queer-)feministischen Kontexten in Wien. Sie nimmt sich zu wenig Zeit für politischen Aktivismus und hat deshalb ein schlechtes Gewissen.