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Liebe, die sich auszahlt

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von Irene Messinger

"Wenn auf Erden die Liebe herrschte, wären alle Gesetze entbehrlich." Dieses Zitat, das dem griechischen Philosophen Aristoteles zugeschrieben wird, findet sich nicht etwa auf den Transparenten anarchistischer Bewegungen, sondern schmückt als beliebter Spruch vor allem Hochzeitsbilletts. Doch Aristoteles wäre verwundert, würde er sehen, wie zahlreiche gesetzliche Regelungen unser Privatleben normieren und versuchen, die Liebe und die Heiratswilligkeit nach bevölkerungspolitischen Kriterien zu lenken. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit Liebe und Ehe – genauer mit der gesellschaftlichen und staatlichen Konstruktion von Liebe in der Ehe bzw. der Eingetragenen PartnerInnenschaft (EP) und wie diese unterwandert wird.

Vorteilsclub Ehe

Es gibt unterschiedliche Gründe, warum zwei Menschen heiraten bzw. sich verpartnern. In der Regel kann man davon ausgehen, dass zumindest eine der beiden Personen davon profitiert: für den Erwerb von Ländereien, beim Erben, zur Legalisierung von Kindern, für steuer- und wohnrechtliche oder andere strategische Vorteile. Allerdings besteht eine Diskrepanz zwischen den staatlich erwünschten und durch finanzielle Anreize geförderten Ehen einerseits und den von Diskriminierung charakterisierten Ehen bzw. Eingetragenen PartnerInnenschaften mit sogenannten "Drittstaatsangehörigen" andererseits. Denn Zweiteren wird unterstellt, sie würden keinesfalls aus Liebe, sondern primär aufgrund eines möglichen fremdenrechtlichen Vorteils (Legalisierung des Aufenthalts, erleichterter Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Staatsbürgerschaft) eingegangen.

Die romantische Liebe als Motiv und Ideal der Ehe war um 1800 noch "etwas gänzlich Neues und Revolutionäres". [1] Es war jedoch vor allem privilegierten Personengruppen vorbehalten, diesen Ideen und ihrer Umsetzung zu frönen. Bis 1850 zielten Heiratsbeschränkungen in Österreich zunächst auf DienstbotInnen, TagelöhnerInnen oder Arme ab. Danach wurden die Bestimmungen weiter verschärft – bis 1921 konnte die Gemeindeobrigkeit den sogenannten Ehekonsens von all jenen heiratswilligen Personen verlangen, deren Einkommen nicht dauerhaft gesichert schien. [2] Die Ehe als eine vom Staat privilegierte Form der heterosexuellen Zweierbeziehung ist also eine relativ junge Institution. Um einiges jünger ist die seit 2010 in Österreich mögliche Eingetragene PartnerInnenschaft für Lesben und Schwule. Beiden Formen ist gemeinsam, dass sie nie einfach Privatsache, sondern immer in gesellschaftliche Machtverhältnisse eingebettet sind. Seit jeher entwickelte sich rund um die Ehe ein dynamischer Prozess, innerhalb dessen es zu einem wechselnden Kräftespiel um die Positionen von "Normalem" und "Deviantem" kommt.

"Schutzehen" im Nationalsozialismus

Die Zeit des Nationalsozialismus war von zahlreichen Liebes- und Eheverboten gekennzeichnet. Ehen mit "Ausländern" konnten NS-Verfolgten rechtliche Vorteile bringen und den Weg ins Exil erleichtern oder ihren dortigen Aufenthalt sichern. Retrospektiv werden diese Ehen als "Schutzehen" bezeichnet und als eine Form der Hilfeleistung positiv bewertet. Parallel dazu wurden im nationalsozialistischen Sinn "wertvolle" Ehen von "nachweislich Erbgesunden" durch Ehestandsdarlehen gefördert. Die Höhe der Rückzahlungen dieses sofortigen, zinsenlosen Darlehens konnte durch die Anzahl der Kinder verringert werden. Es ist anzunehmen, dass wegen des Ehestandsdarlehens auch "Scheinehen" geschlossen wurden, über die aber nur sehr wenig bekannt ist. [3]

Eines der seltenen Anschauungsbeispiele im österreichischen Kontext ist der Bericht eines Standesbeamten in Villach, der im Jahr 1939 u.a. eine "besondere Heiratsfreudigkeit" feststellte. Die Ursache ist nach Ansicht des Standesbeamten darin zu suchen, "dass Männer durch Eingehen einer Ehe der Einberufung zur Wehrmacht und Frauen eventuellen Dienstverpflichtungen entgehen wollten. Als weiterer Grund wird die finanzielle Förderung vermutet.“ [4] Wenn dies zutrifft, sind diese Ehen neben den "Schutzehen" ein interessantes Exempel dafür, wie die staatlich geförderte Ausrichtung der Institution Ehe gezielt unterwandert wurde.

Anreiz für den "schönsten Tag im Leben"

Das offensichtlichste Beispiel, wie der österreichische Staat finanzielle Anreize für die Eheschließung schuf, war die sogenannte "Heiratsbeihilfe" in den 1970er- und 1980er-Jahren. Die Heiratsbeihilfe betrug bei voller Summe 15.000 Schilling. War bei einem Brautpaar ein/e PartnerIn geschieden oder "AusländerIn", wurde jedoch nur die Hälfte der Beihilfe ausbezahlt. [5] Das bedeutet, dass Erst-Eheschließungen sowie jene unter ÖsterreicherInnen bevorzugt behandelt wurden. Der Stellenwert dieser Förderung wird durch die Eheschließungsstatistiken jener Zeit deutlich: Als im Jahr 1971 die Heiratsbeihilfe erstmals angekündigt wurde, legten etwa 3.000 Heiratswillige ihre Eheschließungen auf das darauf folgende Jahr. 1988 sollte die Heiratsbeihilfe wieder abgeschafft werden – mit der Folge, dass 30.000 zusätzliche Eheschließungen ausgelöst wurden und 1987 der Rekord an Hochzeiten in der Nachkriegszeit gestellt wurde.[6]

Entwicklungen wie diese zeigen, dass zweckrationale Vorteile großen Einfluss auf eine Entscheidung (zumindest hinsichtlich des Zeitpunktes) zur Eheschließung haben – und auch, dass schon in der Vergangenheit Ehen mit "AusländerInnen" diskriminiert wurden.

Suspekte Ehen

Seit 2006 muss eine bestimmte Personengruppe in Österreich ein Mindesteinkommen vorweisen können – nicht, um heiraten zu können, aber um nach der Eheschließung oder Verpartnerung einen gesicherten Aufenthaltsstatus zu erhalten und damit die Partnerschaft auch real leben zu können. Es handelt sich hierbei um sogenannte "Drittstaatsangehörige". Weil bei solchen Ehen u.a. ein "aufenthaltsrechtlicher Vorteil" vermutet wird, gelten diese per se als suspekt und werden als potenziell deviant gewertet.

Die "Aufenthaltsehe" wird als Gegenstück zur "echten" bzw. "normalen" Ehe gezeichnet. María do Var Castro Varela folgert: "Der Diskurs der Scheinehe suggeriert, dass es die wahre Ehe gibt, die sich vom Schein eindeutig abheben würde." [7] Dies zeigt sich am Beispiel der staatlichen Eingriffe, die Ehen mit "Drittstaatsangehörigen" normieren und kriminalisieren.

Das Eingehen einer Aufenthaltsehe oder AufenthaltspartnerInnenschaft ist seit 2006 ein strafrechtliches Delikt für den österreichischen (bzw. niederlassungsberechtigten) Part, seit 2010 auch für den "fremden" Part der Ehe oder EP. Der Strafrahmen beträgt bis zu einem Jahr Haft, wenn die Ehe gegen Bezahlung eingegangen wurde. Unabhängig vom Ausgang des Strafverfahrens droht dem/der "fremden" EhepartnerIn zudem ein Aufenthalts- bzw. Rückkehrverbot.

Aufenthalt vs. Liebe

In den Augen der Behörden ist für die Glaubwürdigkeit einer Ehe ein Zusammenleben notwendig. Die Fremdenpolizei, die die Daten von den Standesämtern übermittelt bekommt, wählt aufgrund bestimmter Verdachtsmomente Fälle aus, die durch Hausbesuche, getrennte Befragungen und weitere Indizien auf die Erfüllung fremdenpolizeilicher Ehe-Vorstellungen hin kontrolliert werden. Ist aus Sicht der Fremdenpolizei der Verdacht auf eine Aufenthaltsehe bestätigt, wird Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet, die das Verfahren an die Bezirksgerichte weiterleiten kann.

Allerdings: Der Nachweis einer Aufenthaltsehe ist in den meisten Fällen schwierig bis unmöglich zu erbringen. Über ein Drittel der Verfahren an den Bezirksgerichten enden mit einem Freispruch, bei einem knappen Drittel kommt es zu einer Verurteilung, bei einem weiteren Drittel wird das Verfahren anders beendet (zum Beispiel durch Einstellung oder Verjährung). Bislang folgten die Bezirksgerichte nur selten der Argumentation der Fremdenpolizei und urteilten vorsichtiger und im Zweifel für die/den Angeklagte/n. Ein Geständnis von einem der EhepartnerInnen war fast immer Voraussetzung für eine Verurteilung, was im Umkehrschluss bedeutet, dass eine Bestrafung kaum möglich ist, solange beide von der Aufrichtigkeit ihrer Beziehung überzeugt sind.

Gemeinsam ist fremdenpolizeilichen wie gerichtlichen Befragungen, dass das Motiv der Liebe als konträres Element zum Aufenthaltsvorteil abgefragt und von den EhepartnerInnen als Legitimation für die Eheschließung vorgebracht wird, es entwickelt jedoch in weiterer Folge in beiden Institutionen kaum Relevanz. Da bis heute von der Konstruktion der Aufenthaltsehe nur "Drittstaatsangehörige" betroffen sind, kann man von einem institutionalisierten Rassismus gegen diese Gruppe sprechen. [8]

Schein-Nicht-Ehen

Während bei Ehen zwischen ÖsterreicherInnen das Zusammenwohnen meist nicht überprüft wird, gibt es eine klassenspezifische Ausnahme: jene Personen in einer (vermeintlichen) Lebensgemeinschaft, die Mindestsicherung beziehen und bei denen daher das Einkommen des (Ehe-)Partners bzw. der Partnerin bei einem Zusammenleben einbezogen würde. Sie können in der Wohnung kontrolliert werden, denn auch hier wird deviantes Verhalten unterstellt, wenn auch mit harmloseren Folgen.

Im Gegensatz dazu soll abschließend auf jene langjährigen Ehe-ähnlichen Paarbeziehungen und Lebensgemeinschaften hingewiesen werden, in denen die PartnerInnen deshalb nicht heiraten, weil ihre Bezüge als Witwe/r dann niedriger wären oder gänzlich wegfallen würden. Bei diesen österreichischen Schein-Nicht-Ehen erfolgt keinerlei staatliche Einmischung, obwohl die Kosten, die dem Staat dadurch entstehen, als enorm eingeschätzt werden können.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Staat immer das Risiko eingeht, dass die in Aussicht gestellten Ehe-Privilegien zu anderen Zwecken konsumiert werden. Denn es gibt weiterhin eine Vielzahl an Gründen und Motiven, eine (Liebes-)Beziehung zu nützen und in Form der Ehe oder EP zu legalisieren – so konnten und können gefährdete Personen geschützt, finanzielle Vorteile gezogen oder der Aufenthalt gesichert werden. Heute wie damals kann Eheschließung bzw. Verpartnerung demnach ein strategisch wirksames subversives Instrument darstellen, um sich über Staatsgrenzen wie Rechtsnormen hinwegzusetzen.


Von Irene Messinger ist erschienen: "Schein oder nicht Schein. Konstruktion und Kriminalisierung von 'Scheinehen' in Geschichte und Gegenwart", Mandelbaum Verlag 2012 (Reihe "Kritik und Utopie").




Link
"Das ist institutionalisierter Rassismus" – Interview mit Irene Messinger auf dieStandard.at

Fußnoten

[1] Michaela Hafner: Liebe und Ehe, Liebe in der Ehe, 18.05.2005. In: www.dieuniversitaet-online.at – Online-Zeitung der Universität Wien

[2] Elisabeth Mantl: Heirat als Privileg. Obrigkeitliche Heiratsbeschränkungen in Tirol und Vorarlberg 1820–1920. Oldenbourg Wissenschaftsverlag. München 1997.

[3] Kathi-Alexandra Hartmann: Scheinehen mit deutschen Staatsangehörigen. Struktur, Politik, (deutsch-)deutsches Ehebild. Wissenschaftlicher Verlag Berlin 2008.

[4] Hermann Stocker: Betrachtungen über das Schicksal der Ehen, die in den Jahren 1938 bis Ende 1954 beim Standesamt Villach geschlossen wurden. In: Österreichisches Standesamt, Heft 5, 1955. S. 33–34.

[5] Stiftung Bruno Kreisky Archiv (o.A.): Frequently Asked Questions: Wann wurde die Heiratsbeihilfe eingeführt? Frequently Asked Questions: Wann wurde die Heiratsbeihilfe eingeführt?, auf www.kreisky.org

[6] Richard Gisser/Liselotte Wilk/Martina Beham/Marion Bacher: Familiale Wirklichkeit aus demographischer und soziologischer Sicht. In: Helmuth Schattovits/Liselotte Wilk (Hg.): Lebenswelt Familie. Institut für Ehe und Familie. Wien 1990. S. 57–98.

[7] Mariá do Mar Castro Varela: Queer the Queer! Queer Theory und politische Praxis. In: beiträge zur feministischen forschung & praxis, Heft 52, 1999. S. 29–40.

[8] Irene Messinger: Verdacht auf Scheinehe. Intersektionelle Analyse staatlicher Konstruktionen von "Schein-" bzw. "Aufenthaltsehe" und ihren Auswirkungen im Fremdenpolizeigesetz 2005. Dissertation, Universität Wien 2011.

Irene MessingerLangjährige Mitarbeiterin bei NGOs in der Rechtsberatung zu asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren, Vorträge und Publikationen zu Asyl- und Migrationspolitik. Ihre mehrfach ausgezeichnete politikwissenschaftliche Dissertation "Verdacht auf Scheinehe" ist 2012 unter dem Titel "Schein oder nicht Schein. Konstruktion und Kriminalisierung von 'Scheinehen' in Geschichte und Gegenwart" beim Mandelbaum Verlag (Reihe "Kritik und Utopie") erschienen.