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Fürsorglich, warmherzig und ausgebeutet

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von Kendra Eckhorst

Sie heißen "gute-wesen.de", "ost-profi.de" oder "deutsche-seniorenbetreuung.de" und vermitteln per Mausklick osteuropäische, zumeist polnische Pflege- und Haushaltskräfte für die häusliche Pflege. Diese Pflegeagenturen preisen die osteuropäischen Frauen nicht nur als kostengünstiger an, sondern auch als geeigneter als deutsche Pflegekräfte, wie es etwa auf "gute-wesen.de" formuliert wird: "Sie können sich auch besser um Sie kümmern, weil sie mit Ihnen unter einem Dach wohnen. Es liegt in ihrer Natur, fürsorglich, warmherzig und liebevoll zu sein."

Schnell und unbürokratisch

Die Frage, wie Pflege bzw. Care-work organisiert werden kann, taucht immer häufiger in den politischen und medialen Diskussionen in Deutschland auf. Pflegenotstand und Fachkräftemangel werden beklagt, auf das Problem wird häufig mit kurzfristigen Lösungen reagiert, wie es etwa die jüngste Forderung des "Arbeitgeberverbands Pflege" nach einer Greencard zeigte. Schnell und unbürokratisch sollen damit Engpässe durch osteuropäische Pflegekräfte behoben werden. In der häuslichen Pflege ist das kein Novum, für viele Pflegebedürftige geradezu der einzige Weg, sich eine bezahlbare und individuelle Rund-um-die-Uhr-Pflege leisten zu können.

Pflegeagenturen ebenso wie die Agentur für Arbeit vermitteln in Kooperation mit osteuropäischen Unternehmen Pflegekräfte. Angestellt und sozialversichert oder als Selbstständige arbeiten sie im Rahmen des Arbeitnehmerentsendegesetzes für maximal zwölf Monate in deutschen Haushalten. Neben Pflegeheimen und ambulanten Pflegediensten hat sich hier ein Markt für häusliche Pflegedienstleistungen etabliert, der mittels ungeregelter Arbeitszeiten, vager rechtlicher Bestimmungen und Niedriglöhnen floriert. Nach Schätzungen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di arbeiten in der häuslichen Pflege 115.000 Menschen aus Osteuropa. Ein zumeist weibliches Pflegepersonal, für das der Mindestlohn in der Pflegebranche, der im August eingeführt wurde, nicht gilt.

"Pflegekraft" vs. "Haushaltshilfe"

"Landläufig als Pflegekräfte bezeichnet, sind sie gemäß der Verordnung aber keine echten", sagt eine Sprecherin des Ministeriums für Arbeit und Soziales, die nicht namentlich genannt werden will. Auch das im letzten Jahr im April verabschiedete Arbeitnehmerentsendegesetz, das Mindestarbeitsbedingungen auch beim Pflegemindestlohn per Rechtsverordnung festhält, hilft nicht weiter.

So gilt der flächendeckende Tarifvertrag, den die Pflegekommission unter Beteiligung von ArbeitgeberInnen, ArbeitnehmerInnen, Kirchen- und GewerkschaftsvertreterInnen ausgehandelt hat, für Beschäftigte in der stationären und ambulanten Pflege, die auch "Grundpflege" nach dem Sozialgesetzbuch 11, also dem Pflegeversicherungsgesetz, ableisten. Darunter fallen Kämmen, Waschen oder Hilfe beim Blase-Entleeren – Tätigkeiten, die ebenso von den Vermittlungsagenturen angeboten und von den osteuropäischen Pflegekräften ausgeführt werden. Dennoch fallen sie aus dem gesetzlichen Mindestlohn heraus, der Untergrenzen für Stundenlöhne von 8,50 Euro im Westen und 7,50 Euro im Osten Deutschlands festschreibt.

Ein Grund dafür ist, dass "keine der Personen hier pflegen darf", erklärt Arben Coli, Geschäftsführer der Vermittlungsfirma "Deutsche Seniorenbetreuung". Die Ausbildungen werden nämlich bis jetzt nicht anerkannt. Warum auf den Internetseiten der Vermittlungsagenturen trotzdem "Pflegekräfte" versprochen werden, erklärt ein Hinweis bei "ost-profi.de". Demnach werden dort Begriffe wie "Pflegekräfte" oder "Pflegedienst" nur deshalb verwendet, damit Suchmaschinen die Website auch finden – sie würden aber nicht die "Tätigkeitsbereiche polnischer Dienstleister" beschreiben. Hingegen wird gerne mit den Erfahrungen der oft durchaus qualifizierten PflegerInnen geworben. Ihre Qualifikation wirkt sich aber nicht in einer angemessenen Bezahlung aus, denn sie werden kurzerhand zu "Betreuungskräften" oder "Haushaltshilfen" dequalifiziert.

Dequalifiziert und schlecht bezahlt

Trotz abgeschlossener Ausbildungen verdienen viele der Frauen aus Osteuropa zwar mehr als in ihrem Herkunftsland, aber nur 25 bis 50 Prozent einer in Deutschland ansässigen Pflegekraft. Allerdings müssen die Ausbildungen spätestens ab Mai 2011 anerkannt werden, da dann die Arbeitnehmerfreizügigkeit z.B. für Polen in Kraft tritt, die eine Gleichbehandlung der ArbeitnehmerInnen in der EU vorschreibt, entsprechend den geltenden Arbeitsgesetzen und Entlohnungen im Arbeitsland.

Einen weiteren Grund für den Ausschluss vom Pflegemindestlohn stellen die fließenden Tätigkeitsbereiche dar, die von Hauswirtschaft über geselliges Beisammensein bis hin zu klassischen Pflegetätigkeiten reichen. Es werden aber überwiegend nicht messbare Pflegetätigkeiten und zählbare Handgriffe geleistet, vielmehr richten sich die Arbeitsanforderungen an den Bedürfnissen des/der Pflegebedürftigen aus – ähnlich dem Berufsbild der persönlichen AssistentInnen. In der Pflegekommission regten sich allerdings maximale Widerstände gegen eine Vermischung dieser Arbeitsprofile.

Doch auch wenn die osteuropäischen ArbeitnehmerInnen nicht dequalifiziert werden und überwiegend Pflegetätigkeiten ausüben würden, wäre es dennoch schwierig, den Mindestlohn bei den osteuropäischen Unternehmen durchzusetzen. Bis jetzt gebe es keine Erfahrungen, sagt Jürgen Wörner, der bei ver.di in der Tarifkoordination sitzt, wie mit dieser Rechtsverordnung im Ausland umzugehen sei.

Moderne Sklaverei

Aber auch hier haben die Vermittlungsagenturen vorgesorgt und setzen verstärkt auf selbstständige Pflegekräfte, die eigenverantwortlich die Zumutbarkeit von Arbeitsanforderungen, die Einhaltung der Arbeitszeiten und auch ihr Gehalt aushandeln müssen. Der Spielraum kann als gering eingeschätzt werden. Je nach Anforderungen und Sprachkenntnissen liegt der monatliche Verdienst für 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche zwischen 1.300 bis 2.500 Euro brutto. Selbstständige bekommen nur unwesentlich mehr.

Den Vorwurf der modernen Sklaverei kennt Marco Jahrke, Geschäftsführer von "pflegeagentur24.de", und nennt es lieber eine Grauzone, in der Bereitschafts-, Arbeits- und Freizeit nicht klar getrennt seien. "Klipp und klar sagen die Damen aus Polen, dass sie keine 60 Stunden die Woche arbeiten", so Jahrke. Auf "deutsche-seniorenbetreuung.de" wird es klarer formuliert: "Die Arbeitszeit/Freizeit können Sie individuell mit den Betreuungskräften vereinbaren. Die Betreuungskräfte sind in der Regel selbstständig beziehungsweise freiberuflich tätig und unterliegen somit keiner gesetzlichen Arbeitszeitbestimmung. Bei entsendetem, angestelltem Personal gilt das Arbeitszeitgesetz des Staates, in welchem die Tätigkeit ausgeführt wird." Möglichkeiten der Kontrolle gibt es kaum. Erschwerend kommt hinzu, dass die Pflege in den eigenen vier Wänden, die das Mitwohnen der Pflegekraft einschließt, eine ständige Ansprechbarkeit derselben suggeriert.

Schluss mit der Ausbeutung?

Diese schwierige Arbeitssituation in der häuslichen Pflege und ein wenig transparenter Vermittlungsmarkt ruft Initiativen auf den Plan, die für bessere Arbeitsbedingungen eintreten und zumindest Verhaltensregeln festlegen wollen. Wie beispielsweise das Projekt "Fair Care" der Diakonie Württemberg, das der 24-Stunden-Betreuung durch eine Person eine Absage erteilt. Oder der Bundesverband Europäischer Betreuungs- und Pflegekräfte e.V., der sich Anfang dieses Jahres gründete, um rechtliche Lücken zu schließen und verantwortbare Arbeitsverhältnisse zu etablieren, wie es Christian Bohl, Pressesprecher des Vereins, formuliert. Auch er favorisiert das Modell der selbstständigen Pflegekräfte, die über ihren Arbeitseinsatz und ihr Gehalt selbst verhandeln und auch Arbeitsanweisungen ablehnen können. Ob das – jenseits des Problems der Scheinselbstständigkeit – zu geregelten Arbeitszeiten und einer angemessenen Bezahlung führt, sei dahingestellt.

Als ausbeuterisch bezeichnet Gabriele Feld-Fritz, Gewerkschaftssekretärin für den Bereich Altenpflege bei ver.di, weite Teile der häuslichen Pflege und vermutet "eine Polin im Keller jedes dritten Haushalts". Ob die Arbeitnehmerfreizügigkeit an dieser Situation etwas ändern wird, lässt sie offen. Schließlich wird auch der kürzlich eingeführte Mindestlohn schon jetzt von einigen Pflegediensten umgangen, wie Jürgen Wörner feststellt. Zulagen, Zeit- und Verpflegungszuschläge werden einfach in den Grundlohn integriert, um so die geforderte Lohnuntergrenze zu erreichen.

Auch die aktuelle Forderung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die den Pflegenotstand mit der zwangsweisen Umschulung von Arbeitslosen zu Pflegefachkräften beheben will, ist keine Antwort mit Perspektive. Stattdessen sollte über die Gleichstellung von Qualifizierungen, eine angemessene Bezahlung für diesen harten Job und gesellschaftliche Anerkennung diskutiert werden – gleich, ob die PflegerInnen aus Warszawa, Sofia oder Buxtehude kommen.


Dieser Artikel erschien zuerst in: an.schläge 10/2010

Kendra Eckhorst Kendra Eckhorst ist freie Journalistin und Soziologin und schreibt über Arbeitswelten, Feminismus und Musik.