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Critical Feelgood-Faktor

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von Katharina Röggla

Seit einigen Jahren finden die Critical Whiteness Studies (CWS) auch in Deutschland und Österreich Eingang in rassismuskritische Theorie und Praxis. Zunächst vor allem in Uni-Seminaren oder Workshops präsent, hat sich der Begriff – spätestens seit er das No-Border Camp [1] in Köln im Sommer 2012 entzweit hat – inzwischen aus dem akademischen Schattendasein gelöst und subkulturelles Schlagzeilenpotenzial entwickelt. Unzählige Stellungnahmen und Blog-Beiträge zum Thema zeigen, dass die Verunsicherung zwar groß ist, mindestens genauso groß aber ist der Zwang, sich zu positionieren. Da ist es in jedem Fall lohnend, einen direkten Blick auf die wissenschaftliche CWS-Auseinandersetzung zu werfen.

Weiße Normalität

Die CWS sind eine aus den USA stammende Forschungsrichtung, die innerhalb der Rassismusforschung den Fokus auf "Weißsein" als wirkmächtiges Konstrukt legt. Konkret heißt das, dass sich die Forschung über Rassismus zuvor lange vor allem damit beschäftigt hat, wie durch Rassismus Bilder von sogenannten "Anderen" erzeugt werden, und welche Folgen rassistische Diskriminierung für diese "Anderen" hat. Dabei wurde kaum Aufmerksamkeit darauf gerichtet, dass diese rassistische Struktur nicht nur für viele Menschen Nachteile, sondern auch für manche Menschen strukturelle Vorteile schafft – nämlich Weiße Privilegien. Weißsein blieb dabei oft unhinterfragte Normalität.

Die CWS zeigen auf, dass auch Weißsein eine in einem rassistischen System konstruierte Kategorie ist, die aber – im Unterschied zu Nicht-Weißsein – als Norm funktioniert. Wenn wir z.B. in Österreich eine Weiße Person bitten, sich selbst zu beschreiben, dann wird diese Person wohl eine Reihe von Attributen nennen – Alter, Geschlecht, Ausbildungsstand oder Beruf, Wohn- und Herkunftsort, religiöse Zugehörigkeit, eventuell sexuelle Orientierung (allerdings vermutlich nur bei Menschen, die sich als nicht heterosexuell verstehen). Weißsein wird jedoch kaum jemand anführen. Diese Nicht-Nennung bedeutet aber nicht, dass der Umstand, dass die Person Weiß ist, keine Rolle spielt. Es bedeutet nur, dass dieses Weißsein als unmarkierte, also nicht-benannte Normalität funktioniert.

Whiteness auf Deutsch

Schon in den Begrifflichkeiten zeigt sich, wie ungewohnt die Perspektive der CWS ist. "Weißsein", ein im Deutschen nicht nur unübliches, sondern auch recht sperriges Begriffskonstrukt, wird, so wie auch Weiß und Schwarz, von vielen AutorInnen groß- oder kursiv geschrieben, um darauf hinzuweisen, dass es sich um soziale Konstruktionen und nicht um biologische Kategorien handelt. In der deutschen Debatte hat sich derzeit die aus den USA stammende Selbstbezeichnung People of Color (PoC) etabliert, aber auch Black/Schwarz, Afrodeutsch und andere werden als Selbst- wie Fremdbezeichnung verwendet.

Die CWS wurden vor allem von Schwarzen TheoretikerInnen in den USA, wie etwa Toni Morrison, entwickelt. Rassismus in den USA hat allerdings aufgrund der speziellen Geschichte eine andere Struktur als in Europa. Rassismus in Europa orientiert sich viel weniger allein an rassifizierten Merkmalen wie beispielsweise Hautfarbe, sondern hängt wesentlicher mit Nationalität, Herkunft und kulturellen Praktiken wie etwa Sprache, Religion oder Traditionen zusammen. Bei der Übertragung der Theorien der CWS in den europäischen, und besonders in den deutschsprachigen Raum, ergeben sich also einige Fragen, die eingehender Betrachtung bedürfen. Zunächst müsste dafür deutsche und österreichische Kolonialgeschichte genauer beleuchtet werden – ein nach wie vor erstaunlich ignoriertes Thema –, außerdem bedarf es einer Auseinandersetzung damit, wie Rassenkonstruktionen der NS-Zeit das hiesige Bild von Weißsein geformt haben. Konzepte wie der "Kritische Okzidentalismus" von Gabriele Dietze (siehe das aktuelle migrazine.at-Interview hier) versuchen diese Übersetzungsleistung in einen europäischen Kontext zu leisten, haben sich bislang allerdings kaum durchgesetzt.

Wichtig ist in jedem Fall eine intensivere Auseinandersetzung mit Rassismus im spezifisch deutschsprachigen Kontext. Auch wenn Weiß und Schwarz bzw. People of Color als soziale Konstruktionen und nicht als Bezeichnungen für Hautpigmentierung verwendet werden, so stellt sich doch die Frage, ob mit dem Konzept der Critical Whiteness Rassismus gegen Menschen mit weißer Hautfarbe, zum Beispiel MigrantInnen aus Ungarn, oder sprachliche Minderheiten innerhalb Österreichs, verhandelt werden kann. Die einfache Übertragung der US-amerikanischen Begriffe bringt also gewisse Schwierigkeiten mit sich.
Eine wesentliche Funktion von Rassismus ist es, Menschen in eindeutige Gruppen einzuteilen und künstliche Klarheit zu schaffen. Antirassistische Bestrebungen können klare Positionierungen zwar aus strategischen Gründen übernehmen, dennoch bleibt manchmal ein schales Gefühl zurück, wenn die strategische Einteilung dabei allzu übersichtlich wird.

Weiße Privilegien

Eine der wesentlichen Leistungen der CWS besteht darin, den Blick auf Weiße Privilegien gelenkt zu haben. Solche Privilegien sind zum Beispiel, selbstverständlich als normal und zugehörig betrachtet zu werden, oder die eigene Herkunft nicht erklären oder rechtfertigen zu müssen. Peggy McIntosh vergleicht Weiße Privilegien mit einem unsichtbaren Rucksack voller spezieller Versorgungen, Karten, Pässe, Codebücher, Visa, Kleidung, Werkzeuge und Blankoschecks. Sie betont auch, dass generell ein differenzierterer Umgang mit Privilegien gefunden werden muss. Es mache Sinn, zwischen Privilegien zu unterscheiden, die allen zuteil werden sollten, während andere nur Herrschaftsinstrumente sind, mit denen hegemoniale Verhältnisse stabilisiert werden.

Die Critical Whiteness Studies ermöglichen eine Blickumkehr, in der nicht nur rassisierte Differenz, sondern auch Weißsein als rassisierte Norm untersucht werden kann. So begrüßenswert ein kritischer Blick auf Weiße Privilegien ist, so unklar ist aber noch, wohin die Auseinandersetzung führen wird. PoC-AktivistInnen haben in letzter Zeit die CWS vermehrt dafür genützt, von Weißen AktivistInnen einzufordern, ihre eigene Position zu reflektieren. Aber allzu häufig kommt es vor, dass Diskussionen um Whiteness sich ausschließlich auf der Ebene der Selbsterkenntnis bewegen. Die Weißen Teilnehmenden gelangen zur Einsicht, dass sie Weiß sind, dass damit Privilegien verbunden sind und dass sie sich mit dieser Thematik mehr auseinandersetzen sollten. Das wohlige Gefühl der Reflexion hält an, solange das Thema neue intellektuelle Anreize bieten kann, dann wendet man sich anderem zu – antirassistische Politik wird auf dieser Ebene nicht gemacht.

Ohne die Auseinandersetzung mit der eigenen Herrschaftsposition gering schätzen zu wollen, kann sie jedoch nur einer emanzipativen Politik dienen, wenn der Selbstreflexion auch konkrete Taten folgen. Wenn etwa eine Teilnehmerin eines CWS-Workshops in ihrem Blog davon berichtet, wie hart sie daran arbeitet, eine gute Verbündete für People of Color zu sein, und wie schmerzhaft diese Reflexionsprozesse für sie sind – und im nächsten Absatz davon erzählt, wie es ihr offenbar nicht möglich war, bei einem eindeutig rassistischen Vorfall Position zu beziehen, dann hat etwas nicht funktioniert.

Rassistisch Diskriminierte können nicht wählen, ob sie sich mit dem Thema Rassismus befassen wollen – sie müssen Strategien entwickeln, um damit umzugehen. Auch die Möglichkeit zu wählen, ob ich mich mit dem Thema auseinandersetze, ist also ein Weißes Privileg – wenn Auseinandersetzung mit dem eigenen Weißsein mehr Raum einnimmt als rassismuskritische Praxis, dann dienen die CWS nur mehr dem aktivistischen Feelgood-Faktor und sind kaum dazu geeignet, gesellschaftliche Veränderung zu unterstützen.

Re- oder Dekonstruktion?

Gerade in einer politischen Praxis gibt es den Vorwurf an die CWS, rassistische Grenzziehungen zwischen Schwarz und Weiß nicht zu dekonstruieren, sondern zu re-stabilisieren – wenn zum Beispiel ritualisiert Selbstpositionierungen vor jeder Sprechmeldung verlangt werden ("ich bin Weiß positioniert, stamme aus dem Bildungsbürgertum ..."), in denen manchmal komplexe Zugehörigkeiten auf simple Eindeutigkeiten reduziert werden.

Innerhalb der CWS gibt es generell recht unterschiedliche Vorstellungen davon, wie Strategien zur Bekämpfung Weißer Privilegien aussehen könnten. Die Ideen reichen von einer Neuformulierung des Konzepts Weißsein als kritische und reflektierte Kategorie bis hin zur völligen Abschaffung von Weißsein als Konstrukt an sich.
Wichtig ist, dass Weiße sich mit ihren eignen Privilegien auseinandersetzen – wichtig ist allerdings auch, dass diese Auseinandersetzung nicht auf einer Ebene von persönlicher Schuld oder Betroffenheit stehen bleibt. Die Einsicht, Privilegien zu haben, beantwortet noch lange nicht die Frage, wie mit diesen umgegangen werden soll – persönliche Reflexion ersetzt nicht die Auseinandersetzung mit Strukturen. Rassismuskritik braucht nicht nur die Frage nach Privilegien, sondern auch die Analyse von Gesellschaft, die CWS müssten also in ein Gerüst aus umfassender Rassismuskritik eingebettet werden, um wirksam zu sein.

Die CWS sind eine spannende und noch recht neue Forschungsrichtung, die hilfreich dafür ist, sich auf persönlicher Ebene mit Positionierungen und Verteilung von Privilegien auseinanderzusetzen. Ob sie allerdings auch dafür geeignet ist, Strukturen zu analysieren und Handlungsmöglichkeiten abseits von persönlicher Selbsterkenntnis zu entwickeln, muss sich erst zeigen.


Dieser Beitrag erschien auch in an.schläge 2/2013.



Fußnote

[1] No-Border Camps sind antirassistische Grenzcamps. In Workshops, Demonstrationen, Aktionen, Vorträgen und Diskussionen geht es darum, institutionellem Rassismus entgegenzutreten und neue Bündnisse zwischen von Rassismus betroffenen und nicht-betroffenen Menschen einzugehen. Das erste Grenzcamp fand 1998 in Görlitz, der damaligen EU-Außengrenze zu Polen, statt. Seitdem werden in unregelmäßigen Abständen No-Border Camps quer durch Europa organisiert.

Katharina Rögglaist Autorin des gerade erschienenen Bandes "Critical Whiteness Studies" der Reihe kritik & utopie im Mandelbaum Verlag .