Reality Check #2010
Die Repräsentationslogik: Mittlerweile ist auch im Mainstream der Medien der Ruf nach einer stärkeren Präsenz von Migrant_innen zu vernehmen. Als Produzent_innen von Medieninhalten tauchen diese aber weiterhin nur selten auf. Noch immer wird in der Regel mehr über Migrant_innen als von Journalist_innen mit Migrationshintergrund berichtet. Ebenso stellt in kommerziellen wie öffentlich-rechtlichen Medien die Selbstrepräsentation von Migrant_innen eine Ausnahme dar.
Auf die Frage, wie man Medienarbeit von Migrant_innen sichtbar macht, ohne in eine klassische paternalistische Geste zu verfallen (mit Ansagen à la "Und jetzt … unser Migrant_innen-Special!"), gibt es einstweilen noch zu wenige inspirierende und zufriedenstellende Antworten. Es heißt also: dranbleiben.
Der Identitätsstempel: Migrant_innen werden vor allem dann gebeten, sich ins Medium einzubringen, wenn Themen wie (Anti-)Rassismus, Migration oder Ereignisse aus den "Heimatländern" auf der Tagesordnung stehen (liebe Medien, wie wäre es mal mit einer Evaluation bisheriger Einladungspolitiken?).
Doch auch wenn die eigene Migrationsbiografie zu einigen Auftrittsmöglichkeiten verhilft: Migrant_innen wollen nicht ständig als "authentische" Quellen des "Fremden" herhalten – und damit quasi im Vorbeigehen als "Andere" markiert werden.
Die Arbeitsteilung: Ein bekanntes Beispiel aus der Praxis: Mitarbeiter_innen "mit Migrationshintergrund" sollen das eigene Medium "aufpeppen". Doch: Schon die Suche gestaltet sich schwierig. Nicht selten wird der Grund dafür bei den "Betroffenen", den Migrant_innen, gesucht. Immer wieder beklagen sich Mehrheitsmedien: "Wir sind eh offen und bemühen uns. Aber wir finden einfach keine Migrant_innen!"
Das Spiel für Fortgeschrittene: Man lädt "Expert_innen mit Migrationshintergrund" zu Gesprächen ein. Als "Profi-Migrant_innen" sollen sie die Probleme und Hemmschwellen der Anderen ("Was ist los mit den Migrant_innen? Warum kommen sie nicht zu uns? Wieso fallen sie durchs Assessment Center?") analysieren und Lösungsvorschläge unterbreiten. Dieses "Outsourcing von Selbstkritik" scheint sowohl beruhigend zu wirken als auch ökonomisch zu sein, denn die eigenen Ausschlüsse und Privilegien zu reflektieren, verlangt wesentlich mehr Zeit- und Energieressourcen. Für den Fall, dass man es wirklich ernst meint und effektive Zugänge schaffen will, ist jedoch zweiteres nicht nur unabdingbar, sondern verspricht auch größeren Erfolg.
Das Geschenkmascherl: Nicht wenige meinen, (mediale) Partizipation von Migrant_innen zu ermöglichen, sei bereits gelebte Toleranz. Nicht selten ist dabei ein gefördertes Projekt (file under: Diversität, Migration, Multikulturalität) Anlass dafür, nach "Mitarbeiter_innen mit Migrationshintergrund" Ausschau zu halten. Selten sind solche Bemühungen von nachhaltigem Erfolg gekrönt.
Allerdings: Wer braucht hier eigentlich wen? Je höher der Anteil an Migrant_innen (auch super: Frauen und diverse "Minderheiten"), desto glaubwürdiger kann ein Medium seine "Offenheit", seine "Vielfalt" und gesellschaftskritische Haltung nach außen hin vertreten – und das Image glänzt.
Das "Bitte nicht stören"-Schild: "Liebe Migrant_innen! Partizipation finden wir super. Solange nicht unsere Arbeitsabläufe, unsere Betriebskultur oder gar das Selbstverständnis der Organisation gestört werden. Auch Systemkritik ist klasse – solange ihr sie nicht gegen uns richtet. Und kosten darf das Ganze sowieso nichts, denn schließlich sitzen wir doch alle im selben Boot der prekären Arbeitsverhältnisse!"
Der Mehrwert: Seit allerorts von "Diversity" und "kultureller Pluralität" die Rede ist, gilt es nicht als besonders fortschrittlich, wenn im eigenen Medium nur Weißbrotgesichter sitzen. Migrant_innen sind momentan "en vogue" – der Mehrwert, den sie einbringen (neue Zielgruppen, soziales Kapital, kulturelles Wissen, "andere" Erfahrungen etc.), äußert sich aber nicht immer in gesicherten oder auch nur bezahlten Arbeitsverhältnissen: Wegen der "mangelnden Professionalität“, wegen der "Sprachdefizite" oder weil man generell "nicht dem vorgegebenen Qualitätsanspruch" entspreche. Welch Zufall, dass dann nur mehr die Mehrheitsangehörigen übrig bleiben, die das neu eingerichtete Antirassismus- oder Diversity-Programm leiten können.
In sog. Community-Medien (insbesondere den Freien Radios), die eine pluralistische und partizipative Politik verfolgen, sind zwar zahlreiche Migrant_innen aktiv – doch wie auch in kommerziellen und öffentlich-rechtlichen Medien sitzen diese hier weitaus seltener im „Koordinator_innen-" und "Chef_innensessel". In Zeiten, in denen die laufende Absicherung Freier Medien- und Kulturarbeit immer weniger durch Strukturförderungen, dafür durch die Finanzierung aus Projekten gesichert wird (die sich verstärkt Themen wie Migration, Minderheiten und Mehrsprachigkeit widmen), stellt sich einmal mehr die Frage: Welche Leistung wird hier honoriert?
Die Selbstorganisierung: migrazine.at, seit 2006 online und 2009 ge-relauncht, versteht sich als Intervention in den dominierenden Mediendiskurs, der Migration zum "Problem" erklärt und "Integration" als dessen Lösung verhandelt. migrazine.at ist das mehrsprachige Online-Magazin "von Migrantinnen für alle", herausgegeben vom autonomen Migrantinnen-Zentrum maiz in Linz. Bei migrazine.at sprechen Migrantinnen nicht, um "Quoten" zu erfüllen, sondern sind am gesamten Entstehungsprozess des Mediums beteiligt. migrazine.at spricht nicht über "migrantische Themen", vielmehr ist unser Blick auf die Inhalte, die wir in den Fokus rücken, von unserer gesellschaftlichen Positionierung als Migrantinnen geprägt.
Die Kategorie "Migrantin" steht dabei nicht für eine ethnisch definierte, sondern eine politische Identität, als "Bezeichnung eines oppositionellen Standorts" und im Sinne einer "feministischen und antirassistischen Parteilichkeit" (FeMigra).
Wir wollen nicht bescheiden sein: migrazine.at ist selbstorganisiertes Partizipieren an der Medienlandschaft, Einmischen in den herrschenden Diskurs, Demokratisierung der Information.
Das "Migrant_innen-Medium": Die (Selbst-)Kategorisierung als "Migrant_innen-Medium" bewegt sich in einem Spannungsverhältnis zwischen strategischer Identitätspolitik ("Wir Migrant_innen ergreifen das Wort"), ökonomischen Interessen ("Ihre Werbung in den Ethno-Medien!") und Repräsentationszwängen ("Ach, ein Special-Interest-Magazin"). Das Migrant_innen-Medium gibt es freilich nicht: Die Dichte an Medien von und für Migrant_innen in Österreich (man beachte etwa die hiesigen türkischsprachigen Printmedien, die, wenn auch von kürzerer Lebensdauer, zahlenmäßig jene in Deutschland übertreffen) zeigt den hohen Grad an Ausdifferenziertheit an.
Die ebenso hohe Fluktuation hingegen verweist auf die prekären Arbeits- und Produktionsbedingungen, mit denen sich autonome migrantische Medien konfrontiert sehen. An diesem Punkt könnte sich ein gemeinsames Interesse unter den etablierten Freien Medien und den Medien von Migrant_innen artikulieren: das Eintreten für eine allgemeine Verbesserung der Situation unabhängiger und freier Medienarbeit – etwa durch eine langfristige Existenzsicherung und eine emanzipatorische Medienpolitik.