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Ungleiche Reproduktion – Reproduzierte Ungleichheit

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von Veronika Siegl

Doron Mamet macht es möglich. Er und sein Partner hatten von einer Leihmutter in den USA ein Kind austragen lassen und sich damit einen großen Traum erfüllt. Aber nur wenige Menschen können sich dieses kostspielige Prozedere leisten, und so gründete der Israeli vor einigen Jahren die Vermittlungsfirma "Tammuz". Wählt man seinen so genannten "East-West-Plan", werden Eizellen in den USA befruchtet und dann in Indien – wo die Kosten mit 20.000 bis 30.000 Dollar bei ca. einem Drittel der Preise in den USA liegen – einer Leihmutter eingesetzt. Das Land galt als Hotspot für schwule Klienten, bis Indien im Frühjahr 2013 ein Leihmutterschaft-Verbot für homosexuelle Paare einführte.

Seit den 1990er-Jahren haben sich Fragen sexueller Reproduktion im europäischen und nordamerikanischen Raum zunehmend zu einem inter- und transnationalen Unterfangen entwickelt. Unter dem Stichwort Fertilitätstourismus oder Reproduktionsreisen bewegen sich Eltern in spe, Kinder, Zellen, Embryos, "Spender_innen", Mediziner_innen und nicht zuletzt auch Geldströme um den Globus. Die jeweiligen Reiserouten sind von Unterschieden in nationalen Gesetzgebungen, von medizinischen Spezialisierungen und Erfolgen, Kosten, Wartelisten und Sicherheitsaspekten geprägt.

Dilemma der neuen Reproduktionstechnologien

Die in Israel und Indien gedrehte Dokumentation "Google Baby" (2009) über den Vater und Geschäftsmann Mamet veranschaulicht das Dilemma der neuen Reproduktionstechnologien. Auf der einen Seite steht der Wunsch nach persönlicher Verwirklichung – Diskussionen rund um das Thema Reproduktion werden oft unter dem Aspekt der freien Entscheidung ("choice") diskutiert, die es potenziell möglich macht, traditionelle Familien- und Geschlechterbilder aufzubrechen.

Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, wo diese persönliche Freiheit endet, denn Angebote der Reproduktionstechnologien werden durch ein System globaler Ungleichheiten ermöglicht und reproduzieren diese. Sie entwickeln und verbreiten sich an den Schnittstellen von u.a. Gender, "race", Ethnizität, Nationalität und Klasse und positionieren Menschen an unterschiedlichen Enden des Spektrums von Angebot und Nachfrage.

Kritik am "outsourcing" gefährlicher und belastender medizinischer Eingriffe in Niedriglohnländern haben vor allem feministische Theoretiker_innen und Aktivist_innen formuliert. Unter dem Schlagwort "renting wombs" sind nicht zuletzt indische Fertilitätskliniken wie jene in "Google Baby" für ihre Kommerzialisierungsstrategien ins Kreuzfeuer der Kritik geraten.

Gabe versus Ware

Ihre Leihmütter seien alle "bescheiden" und "einfach", so die Worte von Dr. Nayna Patel, mit der Doron Mamet über das Internet Kontakt aufnimmt. Die abgeklärte und geschäftstüchtige Ärztin avancierte vor einiger Zeit zum internationalen Star der indischen Fertilitätskliniken und weiß, wie man diese "Dienstleistungen" schmackhaft macht. Leihmutterschaft ist eine Win-win-Situation, an das muss sie im Film auch des öfteren die austragenden Frauen "erinnern", die neun Monate lang abgeschieden von der Außenwelt in der Klinik leben und ihre Körper einer Komplettüberwachung unterwerfen.

Nayna Patel leugnet nicht, dass die meisten Frauen aus finanziellen Gründen für die Klinik arbeiten – um ein Haus zu kaufen oder ihren Kindern Bildungschancen zu eröffnen. Im Vordergrund soll aber ein anderer Aspekt stehen: Laut der Ärztin sei Leihmutterschaft ein Geschenk Indiens an die Welt. Damit bedient sie sich eines Diskurses, den sich viele indische Kliniken zunutze machen, um sich von der kühlen Sprache der Medizin und Technik zu distanzieren und potenzielle Klient_innen auf einer emotionalen Ebene anzusprechen. Durch diesen Diskurs werden nicht nur Bilder von vermeintlich aufopferungsbereiten indischen Frauen sowie kulturelle Klischees reproduziert – die Vorstellung von Leihmutterschaft als "Gabe" bietet auch eine moralische Rechtfertigung und verschleiert die realen Machtverhältnisse.

Aber nicht nur Leihmutterschaft, sondern auch Eizellenspende – ein nur in wenigen europäischen Ländern legales Vorgehen – und damit verbundene "eggs-ploitation" (ein Begriff der feministischen Wissenschaftlerin Naomi Pfeffer) entfachen kontroverse Diskussionen, da das Verfahren oft mehrwöchige hormonelle Stimulation erfordert und gesundheitliche Risiken birgt. Die eher niedrig gehaltene finanzielle Kompensation (in Spanien beispielsweise um die 800 Euro) soll einen gesetzlichen Schutz vor Ausbeutung bieten. Hier manifestiert sich ein interessanter Gegensatz zur Samenspende, die eine wesentlich höhere gesellschaftliche Akzeptanz genießt und von Männern weniger als "Hilfsleistung", sondern als Job verstanden wird.

Selbstbestimmung versus Prostitution

Im Kontext von Eizellenspende ist vor allem der Fall Spanien interessant, denn das katholische Land mit über 200 Fertilitätskliniken hat überraschenderweise eine besonders "liberale" Gesetzgebung in Bezug auf Reproduktionstechnologien. Zurückführen lässt sich dies u. a. auf die langen Jahre der Franco-Herrschaft. Die pronatalistische Staatsdoktrin des Diktators führte dazu, dass sich Feministinnen nach seinem Sturz vom Thema Mutterschaft distanzierten, dadurch aber verabsäumten, für die Rechte von Müttern einzutreten. Am Arbeitsmarkt hat dies fatale Konsequenzen, denn viele junge Frauen riskieren mit einer Schwangerschaft ihren Job. Aus diesen Gründen gibt es in Spanien einen hohen Bedarf nach Eizellenspenden und In-vitro-Fertilisation.

Weit verbreitet sind Werbekampagnen in Zeitschriften, Radios und an Universitäten, die v. a. junge Studentinnen und Migrantinnen als Spenderinnen ansprechen sollen und in gewisser Weise an eine "Solidarität" zwischen Frauen appellieren. Dieser altruistische Diskurs beschränkt sich nicht nur auf Spanien. In Rumänien scheint die Situation ähnlich zu sein. Auch der Diktator Ceauşescu hat mit der Illegalisierung von Abtreibung und seiner 5-Kinder-Familienpolitik in die Entscheidungsmacht von Frauen eingegriffen. Ohne die ökonomischen Notwendigkeiten dahinter auszublenden, kann vor diesem historischen Hintergrund die Spende von Eizellen auch einen Schritt der Selbstbestimmung darstellen.

Die Frage nach der Entscheidungsautonomie von Frauen, die ihren Körper oder Substanzen ihres Körpers anbieten, scheidet die feministischen Geister. Viele Kritiker_innen vergleichen Leihmutterschaft und Eizellenspende mit Prostitution. Natürlich ist es ein unbehagliches Gefühl, sich beispielsweise durch den Onlinekatalog russischer Fertilitätskliniken zu klicken, wo die Frauen je nach Bikinifigur, Gesichtsform, Nasengröße und Ausbildung unterschiedliche Preise zu haben scheinen. Aber die Lebensrealitäten vieler Frauen zeichnen ein komplexes Bild, das sich nicht auf moralisierende Schlagworte reduzieren lässt. Die Frage, ob Frauen nun Subjekte oder Objekte der neuen Reproduktionstechnologien sind, lässt sich daher weder mit Ja noch mit Nein beantworten.

Dieser Beitrag erschien zuerst in "Frauensolidarität", Nr. 125, 3/2013.




Lesetipps

Catherine Waldby/Melinda Cooper: The Biopolitics of Reproduction. Post-Fordist Biotechnology and Women’s Clinical Labour. In: Australian Feminist Studies 23(55), 2008. S. 57–73.

Charlotte Kroløkke/Karen A. Foss/Saumya Pant: Fertility Travel: The Commodification of Human Reproduction. In: Cultural Politics 8(2), 2012. S. 273–282.

Veronika Sieglist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Sozialanthropologie der Universität Bern. Sie ist Teil des Forschungsprojekts "Intimate Uncertainties. Precarious Life and Moral Economy across European Borders" und beschäftigt sich mit (transnationalen) Erfahrungen und Netzwerken von Leihmutterschaft und Eizellspende in Russland.