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Offener Brief der Steirischen Plattform Bleiberecht

an die ChefredakteurInnen von
Der Standard, Die Presse, Falter, Kleine Zeitung, Salzburger Nachrichten, Wiener Zeitung

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir sind eine Gruppe von zwei Dutzend Steirern und Steirerinnen, die ehrenamtlich Menschen betreuen, die einen unsicheren Aufenthaltsstatus haben, obwohl sie schon seit Längerem in Österreich leben. Wir versuchen, für die Betroffenen Rechtssicherheit herzustellen, begleiten sie zu Behörden und organisieren Hilfen in Notsituationen. Dafür wurden wir mit dem Menschenrechtspreis 2010 des Landes Steiermark ausgezeichnet.

Viele von denen, die wir betreuen, sind ZeitungszustellerInnen. Bekanntlich wird diese Tätigkeit in erheblichem Umfang von Menschen ausgeübt, deren Aufenthaltsrecht als ein vorläufiges gilt, oder die "geduldet" [1] sind oder deren Status de jure als "illegal" einzustufen ist. – Nennen wir sie im Folgenden nur der Einfachheit halber "Prekäre".

Die Zustelltätigkeit wird in der Regel auf Werkvertragsbasis ausgeübt und galt als weitgehend unreglementiert. In den letzten Jahren geriet sie allerdings immer mehr ins Visier der "Finanzpolizei" (früher: KIAB [2]). Es kam zu Anzeigen gegen Verteilerfirmen – mit der Folge, dass immer mehr Angehörige der oben erwähnten Gruppen die Zustellarbeit verloren haben oder verlieren werden und jedenfalls keine "Prekären" mehr neu beschäftigt werden. Damit geht für diese Menschen einer der letzten Rückzugsposten auf dem österreichischen Arbeitsmarkt verloren.

Dreh- und Angelpunkt der behaupteten Gesetzwidrigkeiten sind höchstgerichtliche Entscheidungen, denen zu Folge die Zustelltätigkeit als "arbeitnehmerähnliches Beschäftigungsverhältnis" gilt und im Falle von Drittstaatsangehörigen einer sog. Beschäftigungsbewilligung [3] bedarf. Das ist im Ausländerbeschäftigungsgesetz so geregelt und gilt auch bei Werkverträgen. Als "Arbeitgeber" gilt in diesen Fällen der Werkvertragsgeber.

Wohlgemerkt: Diese Bestimmungen wären im Prinzip gar nicht so nachteilig für die Betroffenen, allerdings verhindert seit 2004 ein Erlass des damaligen Ministers Bartenstein, dass Asylwerber und andere "Prekäre" derartige Beschäftigungsbewilligungen bekommen können. Ausgenommen sind nur kontingentierte und zeitlich knapp befristetete Beschäftigungen in der Landwirtschaft und im Fremdenverkehr.

Seit Längerem ist (amts-)bekannt [4], dass für die Zeitungszustellung nicht in ausreichendem Maß Inländer bzw. EU-Bürger zur Verfügung stehen. Selbst Ausnahmeregelungen für Erweiterungsländer (deren Angehörige bis 1. Mai 2011 ebenfalls noch Einschränkungen unterworfen waren) konnten hier keine Abhilfe schaffen.

Wie uns Insider aus den betroffenen Firmen versichern, ließe sich ein geregelter Zustellbetrieb gar nicht aufrecht erhalten, könnte man nicht auf die anerkannt verlässliche Arbeit der "Prekären" zählen.Es ist schon richtig, dass das Fremdenrecht in vielerlei Hinsicht sehr kompliziert und vielleicht auch nicht leicht zu ändern ist. Aber dieses Argument zieht im gegenständlichen Zusammenhang nicht. Es bedürfte nicht einmal eines Parlamentsbeschlusses. Sozialminister Hundsdorfer könnte, sozusagen mit einem Federstrich, den erwähnten Bartenstein-Erlass außer Kraft setzen.

Es spricht auch manches dafür, dass dieser Erlass ohnehin gesetzwidrig ist. Wie schon angedeutet, sieht das Ausländerbeschäftigungsgesetz [5] in völlig eindeutiger Weise vor, dass auch für Menschen mit vorläufigen Aufenthaltsberechtigungen und selbst für Geduldete dann Beschäftigungsbewilligungen erteilt werden können, wenn der Arbeitskräftebedarf nicht durch ÖsterreicherInnen oder andere EU-BürgerInnen gedeckt werden kann.

Demokratiepolitisch und vor dem Hintergrund eines modernen Verständnisses von Rechtstaatlichkeit erscheint bedenklich, wenn gesetzliche Vorgaben auf untergesetzlicher Ebene ausgehebelt werden. Zu beachten ist, dass Weisungen und Erlässe im Gegensatz zu Gesetzen und Verordnungen nicht zwingend öffentlicht einsehbar sind.

Sehr geehrte Frau Chefredakteurin, sehr geehrter Herr Chefredakteur, Ihren Artikeln entnehmen wir, dass Ihnen weltfremde Justamentstandpunkte, das Wuchern der Bürokratie, Zukunftsverdrossenheit und Demagogie gegen den Strich gehen. Wir gehen wohl nicht zu Unrecht davon aus, dass es von Ihnen mehr als von anderen abhängt, ob sich in Österreich unverkennbare Tendenzen zur Entsolidarisierung und nationale Egoismen weiter verfestigen.

Bitte erheben Sie in dieser Angelegenheit, die auch die Ihre und die Ihrer Zeitung ist, Ihre Stimme. Bitte klären Sie darüber auf, dass einer guten Lösung keine unüberwindlichen Hindernisse entgegen stehen. Und dass, ganz allgemein gesprochen, ca. 20.000 Asylwerber für den österreichischen Arbeitsmarkt genausowenig ein Problem sind, wie es die 25.000 gewesen wären, die nun aus den Erweiterungsländern ohnehin nicht gekommen sind.

Mit freundlichen Grüßen
Die Mitglieder des STEIRISCHEN PLATTFORM BLEIBERECHT
Graz, am 4. Juli 2011


Fußnoten:

[1] im Sinne des Fremdenpolizeigesetzes § 46a

[2] Organ zur "Kontrolle der illegalen Arbeitnehmerbeschäftigung", seit 2007 der Finanzverwaltung angehörig und in concreto bei den Finanzämtern beheimatete Ermittlerteams.

[3] Beschäftigungsbewilligungen werden im Rahmen des „erschwerten Zulassungsverfahrens“ bei einhelliger Befürwortung des sozialpartnerschaftlichen Regionalbeirates erteilt. Davon betroffen sind – ungeachtet der zahlreichen Ausnahmen – im Wesentlichen sog. Drittstaatsangehörige (d. h. Schweizer und EWR-Bürger sind nicht betroffen). Die Beschäftigungsbewilligung muss vom Arbeitgeber beantragt werden.

[4] Siehe z. B. Vorblatt und Erläuterungen zur „198. Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit, mit der die Ausländerbeschäftigungsverordnung geändert wird“ vom 9. August 2007

[5] Auch nach den Änderungen, die mit 1. Juli in Kraft getreten sind, bleibt die Situation eindeutig: Wörtlich heißt es in § 4 Abs. 1 AuslBG: "… eine Beschäftigungsbewilligung [ist] ... zu erteilen, wenn …" (weiter in Zif. 1:) "der Ausländer über ein Aufenthaltsrecht nach dem NAG oder dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100, verfügt, das die Ausübung einer Beschäftigung nicht ausschließt, oder seit drei Monaten zum Asylverfahren zugelassen ist und über einen faktischen Abschiebeschutz oder ein Aufenthaltsrecht gemäß den §§ 12 oder 13 AsylG 2005 verfügt oder gemäß § 46a FPG geduldet ist und zuletzt gemäß § 1 Abs. 2 lit. a vom Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes ausgenommen war, …"