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"Es gibt viele Wege, bei uns anzudocken"

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Interview mit Claus Pirschner

migrazine.at: Was ist deine Aufgabe als "Diversity"-Koordinator bei FM4?

Claus Pirschner: Wir haben vor einiger Zeit festgestellt, dass die Hälfte der MitarbeiterInnen bei FM4 Migrationshintergrund hat. Allerdings kommen nur wenige aus den größten Einwanderungsgruppen, die es in Österreich seit den letzten Jahrzehnten gibt, also aus Südosteuropa, Ex-Jugoslawien und der Türkei. Es gibt wohl nicht so viele Medienunternehmen, die von sich behaupten können, dass jedeR zweiteR MitarbeiterIn einen Migrationshintergrund hat. Das heißt, es gibt bei uns schon eine große Selbstverständlichkeit, aber eben nicht so sehr hinsichtlich der "klassischen" MigrantInnengruppen.

Das wollten wir aufholen und gleichzeitig unsere Zugänge hinterfragen: Sind wir hier auf Augenhöhe? Beachten wir ausreichend die Perspektiven der verschiedenen Gruppen, mit denen und über die wir berichten? 2010 haben wir eine Arbeitsgruppe gegründet, die sich das im Kontext von FM4 genauer angeschaut hat, zusammen mit externen ExpertInnen mit Migrationshintergrund bzw. aus dem Medienbereich. Wir haben dann deren Empfehlungen zusammengefasst und sind zu einem kurz-, mittel- und langfristigen Plan für FM4 gekommen, wie wir die Diversität beim Sender weiter verstärken können. Ich als Koordinator habe darauf geschaut, dass wir die Umsetzung nicht aus den Augen verlieren.

Was hat sich seitdem beim Sender konkret verändert?

Wir wollten einerseits mehr Personalities aus den bei uns unterrepräsentierten Gruppen finden und aufbauen - das ist mittlerweile auch passiert. Todor Ovtcharov zum Beispiel, ein Austro-Bulgare, ist über ein Open Mic zu uns gestoßen, das wir damals veranstaltet haben. Bei FM4 ist er seit 2010 mit seiner eigenen Kolumne on air und online. Was er macht, sind - so würde ich das beschreiben - schriftstellerische Beobachtungen des Alltags in Österreich, Bulgarien und Europa.

2012 ist Ali Cem Deniz zu uns gekommen, und zwar über die biber-Akademie, mit der wir kooperiert haben. Auch das war für uns wichtig: stärker auf die Communitys und ihre Medien zuzugehen. Die biber-Akademie wird vom Stadtmagazin "biber" organisiert und bildet junge JournalistInnen aus. Ali hat bei uns ein Praktikum gemacht und unsere "Workstation" durchlaufen, das ist eine zweimonatige, intensive Ausbildung während des Sommers. Seitdem ist er freier Mitarbeiter bei FM4, schreibt und macht Radiobeiträge.

Wird erwartet, dass sich die neuen MitarbeiterInnen eher bestimmter Themen annehmen?

Es war uns wichtig, die Leute weder thematisch noch vom Format der Beiträge her auf eine "Insel" zu setzen, sondern sie in das gesamte Programm einzubinden. So wie es bei uns selbstverständlich ist, dass zum Beispiel Menschen mit verschiedensten sexuellen Orientierungen bei uns arbeiten und manche dann mehr zu diesem Thema machen und damit on air gehen, aber niemand darauf beschränkt wird.

Wenn man bei FM4 mitmachen möchte, muss man sich üblicherweise erst für das Assessment Center des ORF qualifizieren. Ist dir bekannt, wie viele Personen mit Migrationsbiografien sich hier bewerben?

Ich kenne die genauen Zahlen leider nicht. Wir veranstalten zurzeit aber weniger Assessment Centers, die ja bei FM4 auch immer an die Workstations gekoppelt sind. Man muss dazu sagen, dass der ORF ein schrumpfendes Unternehmen ist, das aufgrund von Einsparungen MitarbeiterInnen abbaut - wir haben daher bei FM4 nicht jedes Jahr ein Assessment Center und eine Workstation.
In den letzten Jahren, in denen sie stattgefunden haben, haben wir explizit gesagt: "Wir suchen auch MitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund." Wir haben den Aufruf bewusst so formuliert, weil sich bis dahin jedenfalls zu wenige beworben hatten. Eine Kollegin, bei der ein Elternteil aus China kommt, meinte, dass das schon guttat, sie sich aber nicht wegen dieser Aussage beworben hat. Das Assessment Center ist aber nur eine Möglichkeit - es haben sich auch andere Wege gefunden, wie eben die Kooperation mit "biber" und auf verwandte oder affine Medien in anderen Communitys zuzugehen.

Braucht es also erweiterte Kanäle und veränderte Strategien, um auf interessierte MigrantInnen zuzugehen? Weil das übliche Verfahren nur dieselben Personen anspricht?

Ja, wir müssen das übliche Verfahren ändern, andere Kanäle ausprobieren und schauen, welche passen. Es ist aber nicht nur darum gegangen, mehr MigrantInnen bzw. mehr JournalistInnen mit Migrationshintergrund zu holen, sondern auch zu reflektieren: Welche Zugänge haben wir, wie klingt FM4?
Wir haben zudem beschlossen, dass wir regelmäßig MitarbeiterInnen in ein "Diversity Reporting"-Seminar schicken, wo sie sich anschauen: Wie berichte ich? Berichte ich gendersensibel, sensibel genug gegenüber verschiedenen Gruppen - mit oder ohne Behinderung, mit oder ohne Migrationshintergrund, unterschiedlicher Alters- und Religionszugehörigkeit? Ziel ist, die eigenen Zugänge zu schärfen, egal, ob man nun selbst einen Migrationshintergrund hat oder nicht. Auch das bedeutet Professionalisierung. Außerdem haben wir unsere Jingles erweitert, es gibt jetzt welche auf Türkisch, Slowenisch oder Polnisch, die auch im "normalen" Programm laufen.

"Diversity" heißt für mich auch, dass ich, wenn ich öfter aus bestimmten Regionen berichte, dort vor Ort KorrespondentInnen habe, die mir einen sensiblen und glaubwürdigen Zugang liefern. Manche KorrespondentInnen nehmen auch direkt mit uns Kontakt auf, wie zum Beispiel Sammy Khamis. Als Mubarak gestürzt wurde, hat er sich auf Eigeninitiative bei uns gemeldet, seitdem schreibt er regelmäßig für uns und macht Berichte. "Diversity" hört also nicht bei MigrantInnen in Österreich auf.

Die Kolumne von Todor Ovtcharov trägt den bezeichnenden Titel "Mit Akzent". Darf oder soll man bei FM4 - einem bilingualen Radiosender - den sogenannten Migrationshintergrund hören? Gerade im Hörfunk und Fernsehen wird ja der "Akzent" immer wieder als Ausschlussgrund genannt ...

Es war wichtig, beim Sender Bewusstsein dafür zu schaffen, dass wir auf etwas aufbauen, was ohnehin schon passiert. Denn wenn man genau hinhört - oder man muss auch gar nicht so genau hinhören -, nimmt man bei FM4 die verschiedenen Akzente unserer ModeratorInnen wahr, die aus den unterschiedlichsten Regionen Österreichs kommen. Wir moderieren zwar nach dem Muttersprachen-Prinzip, aber manchmal sagen unsere englischsprachigen ModeratorInnen auch mal ein paar Sätze auf Deutsch, da sprechen sie auch mit Akzent.
Umgekehrt soll das aber nicht etwas sein, um als "MigrantIn" hörbar zu sein. Vielleicht ist ja die nächste Redakteurin, die zu uns kommt, eine Austro-Türkin, die Wienerisch spricht, weil sie hier geboren ist. Der Akzent soll nicht zu einem notwendigen "Qualitätskriterium" werden.

Wie würdest du die Hürden definieren, die man nehmen muss, wenn man bei FM4 mitarbeiten möchte? Habe ich als Person mit Migrationsgeschichte die gleichen Chancen wie andere auch?

Ich glaube, du hättest sogar bessere Chancen als andere, weil wir verstärkt das Augenmerk darauf legen. Gleichzeitig würde ich aber sagen, dass du es genauso schwer hast wie alle anderen. Als Teil des ORF müssen wir offen sein für Nachwuchs, aber bei kleiner werdenden Ressourcen können nicht mehr so viele Neue dazukommen wie früher. Was ist da die Hürde? Im Kern ist die Anforderung dieselbe: Es braucht Leute, die wirklich für den Journalismus brennen und sich für die Lebenswelten, die wir abbilden wollen, interessieren - ob es nun die Musikwelten sind oder soziale Welten -, die neugierig sind und das auch in Worte und Bilder fassen können. Eine radiophone Stimme gehört natürlich auch dazu. Aber die kann man auch entwickeln.

Es ist sicher hilfreich, wenn man vorher schon mal ein Journalismus-Praktikum gemacht hat, nicht zwingenderweise Radiojournalismus. Zu sagen: Ich möchte mal probieren, ob mich Journalismus überhaupt interessiert - da wird es schwierig werden, bei FM4 einen Platz zu bekommen.

Das gilt ja nicht nur für FM4, sondern auch für die meisten anderen Medien: Wenn man sich bewirbt, wird bereits ein gewisses Maß an Erfahrung oder Wissen vorausgesetzt. Wird damit die Zugangsschwelle nicht einfach vorverlagert?

Was das Sammeln von ersten journalistischen Erfahrungen angeht, sehe ich nicht, dass es MigrantInnen schwerer haben, zum Beispiel ein Praktikum bei Radio Orange oder Okto TV zu machen oder bei Minderheitenradios wie "Radio Afrika" mitzuarbeiten. Wie siehst du das?

Ich denke, bei Alternativmedien ist der Zugang tatsächlich leichter, bei "Mehrheitsmedien" sind die Hürden weiterhin sehr hoch. Und die Erfahrungen zeigen, dass es nicht nur darum geht, die formellen Kriterien zu erfüllen - sehr vieles entscheidet sich über informelle Kontakte und Wissen. Ist das ein Aspekt, der bei euch thematisiert wird?

Grundsätzlich gebe ich dir Recht, dass es immer formelle und informelle Wege gibt. Ich glaube aber, dass das bei FM4 ein Stück weit abgebaut wird, weil es verschiedene Möglichkeiten gibt, bei uns anzudocken. Einerseits kannst du dich beim Assessment Center bewerben. Andererseits suchen wir MitarbeiterInnen über Kooperationen wie mit der biber-Akademie. Dann wieder können sich Leute direkt bei uns melden. Das ist deshalb nicht hürdenfrei - aber eine gewisse Hürde soll ja bestehen.

Ein guter Journalist oder eine gute Journalistin ist jemand, der sich einbringt, der auf Welten neugierig ist. Und jemand, der das ist, wird auch aktiv an seinen Netzwerken arbeiten. Nicht weil er bloß netzwerken will, sondern weil er interessiert ist, wie es in den verschiedenen Communitys zugeht. Weil er sowohl das Konzert von Anthony and the Johnsons als auch politische Grassroots-Initiativen spannend findet.

Was brauche ich also, wenn ich mich bei FM4 bewerben will? Worauf muss ich achten?

Wie ich sagte: ein grundsätzliches, wirkliches Interesse am journalistischen Arbeiten, die Offenheit, nicht mit einem fertigen Skript rauszugehen und zu glauben, die Welt schon zu kennen. Und wenn ich Lust habe, das jeden Tag wieder zu tun, etwas journalistische Vorerfahrung mitbringe und das Gefühl habe, dass meine Geschichten zu dem passen, was ich sonst auf FM4 höre, ist das gut. Aber auch wenn ich finde, dass die Sachen, die mich interessieren, bei FM4 derzeit fehlen, aber reinpassen würden – umso besser, her damit!

Das bedeutet, dass inhaltliche und personelle Veränderungen einander auch spiegeln?

Darum ging es auch bei der Arbeitsgruppe: Es geht um Diversität in der Zusammensetzung der MitarbeiterInnen, um Diversität in der Auswahl der Themen und um Diversität in den Zugängen zu diesen Themen.

Würdest du angesichts eurer Maßnahmen von "positiver Diskriminierung" sprechen?

Ja, weil wir aktiv JournalistInnen mit Migrationshintergrund suchen. Das haben wir getan und mit Todor Ovtcharov und Ali Cem Deniz auch gefunden. Und wir werden es nicht dabei belassen. Wir schauen weiterhin, dass noch mehr JournalistInnen mit Migrationshintergrund bei uns mitarbeiten.


Das Interview führte Vina Yun.



Link

fm4.orf.at

Claus Pirschnerist Redakteur und "Diversity"-Koordinator beim Jugendradiosender FM4. Er ist außerdem Gleichstellungsbeauftragter im Bereich "Programm" des ORF.