Ausgabe 2011/2

Zweite Generation und Postmigration

Bezeichnungen wie "Zweite Generation" oder "Secondo"/"Seconda" verweisen auf die Lebensrealitäten von Menschen, die keine Migrant_innen sind und dennoch von der Mehrheitsgesellschaft als "Andere" konstruiert werden. Tatsächlich ist die Generation der "Postmigration" jedoch durch ein Selbstverständnis charakterisiert, das traditionelle Identitätsentwürfe infrage stellt und stattdessen ein neues Vokabular von Zugehörigkeit entwickelt.

Fokus ^

F.A.Q. "Zweite Generation"

von Vina Yun

Über Herkunftsdialoge, doppeltes Anderssein und "Belonging". Ein Kommentar

"Ich hab 'nen grünen Pass mit 'nem goldenen Adler drauf / Doch keiner fragt danach, wenn ich in die falsche Straße lauf […] / Nicht anerkannt, fremd im eigenen Land / Kein Ausländer und doch ein Fremder", rappte die Heidelberger HipHop-Crew Advanced Chemistry Anfang der 1990er, als deutschsprachiger Rap noch nicht "nordisch by nature" war und inbesondere von sogenannten Migrant_innen der "Zweiten Generation" repräsentiert wurde.

Räume der "Zweiten Generation"

von Urmila Goel

"Zweite Generation Inder_innen", "Deutsch-Inder_innen", "Halb-Inder_innen", "Indogerman_innen" oder "Desis": über gefühlte und zugeschriebene Zugehörigkeiten zu natio-ethno-kulturellen Gemeinschaften.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie mir mein Vater im ersten Schuljahr anhand unserer Familie die Mengenlehre erläuterte. Er fragte, wenn drei Inder_innen (gegendert hat er den Begriff allerdings nicht) und drei Deutsche an einem Tisch säßen, wie viele Personen das seien. Im Fall unserer Familie lautete die Antwort: vier – Mutter Deutsche, Vater Inder und die beiden Kinder sowohl Inder_innen als auch Deutsche (und damit Teil einer Schnittmenge).

Secondas in der Schweiz

Interview mit Café Secondas

Nach Randalen junger Migranten am 1. Mai 2002 tauchte erstmals der Begriff "Secondos" – etwas später auch die Bezeichnung "Secondas" – in den Schweizer Medien auf. Schon bald eigneten sich Jugendliche der "Zweiten Generation" das Label an und besetzten diesen positiv. Der Begriff markiert seitdem eine neue Identitätspolitik, die die Mitte der Schweizer Gesellschaft erreicht hat.

migrazine.at: Wer ist eine Seconda bzw. ein Secondo?

Nationale Mythen irritieren

Interview mit Erol Yildiz

Über die neue "postmigrantische" Generation und ihr Selbstverständnis jenseits traditioneller ethnisch-nationaler Identitätsentwürfe: ein Gespräch mit dem Migrationsforscher Erol Yildiz.

migrazine.at: Mit Bezeichnungen wie "Zweite" und "Dritte Generation" wird versucht, eine neue Lebensrealität zu beschreiben: Menschen, die nicht selbst migriert sind, aber dennoch als Migrant_innen angerufen werden, und deren Biografien von Rassismus-Erfahrungen geprägt sind. Welche Auseinandersetzungen und Debatten stehen hinter diesen Begriffen?

Hip Hop Generation Next (english)

von Tony Mitchell

Trey, Maya & Koolism: Second Generation Transmigrants, In-betweenness and Multicultural Australian Hip Hop

Melissa Butcher and Mandy Thomas begin their edited volume "Ingenious", a collection of essays which celebrates various subcultural expressions of multicultural youth in Australia, with the following quote from Stuart Hall:

Wo kommst du WIRKLICH her? Where are you FROM from? (Deutsch/english)

Interview mit Christina Antonakos-Wallace und Cano Turan

Das deutsch-amerikanische Filmprojekt "with WINGS and ROOTS" dokumentiert den Umgang von "Zweite Generation Migrant_innen" mit Identitätszuschreibungen, Alltagsrassismus und der Migrationsgeschichte der Eltern. Im Gespräch mit migracolor>zinecolor>.atcolor> berichten Regisseurin Christina Antonakos-Wallace und Produktionsleiterin Cano Turan von den Hintergründen des Projekts.

"with WINGS and ROOTS" is a feature-length documentary and new media project set in Berlin and New York that explores what gets termed "assimilation" in the USA and "integration" in Germany. Set in two countries currently struggling with immigration and national identity, the film tells the stories of six children of immigrants from diverse backgrounds who are striving to expand their societies and communities definitions of belonging.

Crossover ^

Sprachliches Handeln und Diskriminierung

von Verein ][diskursiv

Ein respektvoller Sprachgebrauch braucht die ständige und kritische Auseinandersetzung mit Diskriminierung – und geht dabei weit über die Ebenen von Wort bzw. Gebärde, Satz und Grammatik hinaus.

Wenn hierzulande von "Sprache" die Rede ist, geht es meist um die Defizite der Sprechenden [1] – bevorzugterweise von Migrant_innen. Schon diese Umdeutung offenbart, was sie zu verschleiern versucht: Dass es sich bei Sprache um eines der wichtigsten gesellschaftlichen Machtinstrumente handelt, um ein Medium, durch das hierarchische und diskriminierende Strukturen aufrecht erhalten werden, aber auch Widerstand gegen diese Strukturen gestaltet wird. Sprache ist aber mehr als bloßes Medium – mit ihr setzen wir auch Handlungen und schaffen Realität.

Cura-tierte Problemfelder

von Lisa Bolyos

Die Ausstellung "Jenseits des Helfersyndroms III" in der IG Bildende Kunst versammelt künstlerische Positionierungen im arbeitskämpferischen Feld von Pflege und Betreuung – und ruft vor allem Erstaunen hervor.

Cura, die römische Göttin der Fürsorge und Pflege, formt aus Erdreich ein Figürchen und ersucht Jupiter um seinen Odem, um das Ding zum Leben zu erwecken. Der macht zwar mit, will aber dafür über dieses erste menschliche Wesen bestimmen. Dasselbe begehrt jedoch auch Tellus, die Gottheit der Erde. Saturn, der den Streit schlichten soll, beschließt daher Folgendes: Stirbt das Wesen, bekommt Jupiter dessen Geist wieder und die Erde seinen Körper, während sich die Sorge dem Verlauf seines Lebens widmen soll.

Sprache. Macht. Geschlecht.

von Beatrice Fischer

Heraus aus der Unsichtbarkeit: Strategien gendersensiblen Sprachgebrauchs – vom geschlechtsneutralen Formulieren bis zum "Indefinitivum".

Seit fast drei Jahrzehnten setzen sich Feminist_innen für die Sicht- und Hörbarmachung von Frauen in der (deutschen) Sprache ein, ohne sich dabei von den zahlreichen Anfeindungen und Kritiker_innen einschüchtern zu lassen. Bis heute wird um einen geschlechtergerechten bzw. fraueneinbindenden Sprachgebrauch gekämpft, denn Sprache gilt als Schlüsselwerkzeug für gesellschaftliche Veränderung, mit dem bestehende (Geschlechter-)Normen und Machtverhältnisse beeinflusst werden können.

"Deutschland schafft mich ab"

von Lea Susemichel

Das "Manifest der Vielen" ist die richtige Antwort auf den neuen antimuslimischen Rassismus in Deutschland

Rassistische Äußerungen von PolitikerInnen und Personen des öffentlichen Lebens sind auch in Deutschland durchaus nichts Unübliches. Doch der Diskurs um das "Migrationsproblem" hat mit dem Erscheinen von Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" eine neue Qualität erreicht. Weil nur die migrantische Unterschicht Kinder gebäre, drohe der deutschen Nation der Niedergang, so die mit kruden Vererbungstheorien untermauerte Kernthese des Buches, das es auf sämtliche Bestseller-Listen geschafft hat und dem Autor bereits Millionen einbrachte.

Was ist Leichte Sprache? (in Leichter Sprache)

von Kerstin Matausch

Leichte Sprache ist keine Sprache für Kinder.

Sie ist eine Sprache für erwachsene Menschen.

Für die Leichte Sprache gibt es Regeln.

Jeder Mensch kann Texte in Leichter Sprache besser verstehen.

Richard Weizsäcker war ein Politiker.

Richard Weizsäcker hat einmal gesagt:

"Es ist normal, verschieden zu sein."


Damit zeigt Richard Weizsäcker:

Man soll akzeptieren, dass Menschen verschieden sind.

Man soll respektieren, dass Menschen verschieden sind.


Wieso gibt es Leichte Sprache?

Es gibt viele Gründe,

warum es Leichte Sprache gibt.

Hier erfahren Sie einige Gründe,

Kultur Neudenken

von Ülkü Akbaba

Kulturpolitik in der Migrationsgesellschaft: Nur wer Teil sein kann, kann auch teilhaben.

Immer wieder denkt die Mehrheit nach, wie sie im Kulturbetrieb irgendwas von und für Migrant_innen machen könnte. Heraus kommen dann irgendwelche Sonderkulturprojekte am Rande der Sozialarbeit. Niederschwelligkeit wird zu Qualitätsmangel. Das soziale Engagement für Wiener_innen mit Migrationshintergrund und solche, die es werden könnten, rechtfertigt aber wohlgemerkt nie mehr als niedrig dotierte Sondertöpfe. Das Sonderbare wird exotistisch ausgesondert.

Den Teufelskreis der Dequalifizierung durchbrechen

Wir sind auf dem Weg

Interview mit Karl Delfs und Martina Fässler und Rudolf Kaske

Ein Gespräch mit VertreterInnen der Gewerkschaft vida zu neuen gewerkschaftlichen Ansätzen, Selbstvertretung von MigrantInnen, undokumentierte Arbeit und dem "1. März – Transnationaler Migrant_innenstreik".

migrazine.at: In Deutschland gibt es mittlerweile vier Beratungsstellen zu undokumentierter Arbeit. Was tut sich hierzulande?

Communiqué of Communication

von Nan C. Kerosiç

Wedelnde Hände, gekreuzte Arme, Finger, die zu Buchstaben geformt werden: über den Einsatz von Handzeichen in herrschaftskritischen Diskussionskulturen. [1]

Schon lange gibt es in den sozialen Bewegungen das Bemühen, eine alternative Gesprächskultur zu etablieren, die ein hierarchiefreies Diskutieren in der Gruppe ermöglicht. Im Zuge der Auseinandersetzung mit Formen gleichberechtigter Kommunikation bildete sich während der letzten Jahrzehnte ein differenziertes Vokabular von Handzeichen heraus, die in Gruppendiskussionen eingesetzt werden. Auch im Rahmen der Bildungsproteste 2009/10 in Österreich hat sich auf zahlreichen Besetzungsplena die Arbeit mit solchen Diskussionshandzeichen durchgesetzt.

Un/Sicherheit für alle!

von Rubia Salgado

Notizen zu einem Gemeinschaftsprojekt von maiz, Klub Zwei und einer Gruppe von Asylwerber_innen.

 "Wer genießt Sicherheit?", fragte das Projekt "Terra Secura", das 2007 beim Festival der Regionen in Oberösterreich von maiz, dem Autonomen Zentrum von & für Migrantinnen in Linz, und dem Wiener Künstlerinnen-Duo Klub Zwei realisiert wurde.

Kolonialismus, Rassismus und Sprache

von Susan Arndt

Der kolonialistische Diskurs und die deutsche Afrikaterminologie

Als Sklaverei und Kolonialismus, die ökonomische Ausbeutung sowie die politische Unterdrückung Afrikas einer moralischen (Schein-)Legitimierung bedurften, formierte sich nicht nur der Rassismus als Rechtfertigungsideologie. Darauf aufbauend erfand Europa sein Afrika. Dabei wurde Afrika zur Negation dessen konstruiert, was sich West-Europa zu sein vorstellte bzw. wünschte. In diesem Prozess war Sprache ein wichtiges Medium zur Herstellung und Vermittlung des Legitimationsmythos, Afrika sei das homogene und unterlegene "Andere" und bedürfe daher der "Zivilisierung" durch Europa.

Political Correctness im Diskurs

von Katrin Auer

Warum "Political Correctness" im deutschsprachigen Raum noch nie etwas mit antidiskriminatorischer Sprachpolitik zu tun hatte.

Angestoßen von den neuen Sozialen Bewegungen breitete sich ab den 1970er Jahren im angloamerikanischen Raum der Anspruch auf einen respektvollen und antidiskriminierenden Sprachgebrauch aus: Sprache sollte der gesellschaftlichen Diversität und historischen Realität gerecht werden und nicht das androzentrische/westliche/christliche/weiße Weltbild weiter reproduzieren. Vor allem in akademischen Diskursen wurde die Forderung nach einer "sensiblen" Sprachpolitik aufgegriffen, die marginalisierte Gesellschaftsgruppen unter veränderten Vorzeichen sichtbar machen sollte.